16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren
daß er schon an diesem Abend versuchte, sich uns zu nähern, und in diesem Fall konnte es der eben jetzt Angekommene sein. Ich mußte vorsichtig verfahren und mich genau erkundigen.
„Wie kommst du dazu, von einem Begleiter zu sprechen?“ fragte ich den Wirt. „Wir brauchen niemand.“
„Vielleicht doch! Kennt ihr die Wege?“
„Wir haben niemals einen Weg, den wir in diesem Lande betraten, vorher gekannt und sind dennoch stets zurecht gekommen.“
„So wünscht du keinen Wegweiser?“
„Nein.“
„Ganz wie du willst. Ich glaubte, dir einen Gefallen zu erweisen.“
Er wollte sich abwenden. Das sah nicht so aus, als ob der Fremde ihm einen dringenden Auftrag erteilt habe; darum forschte ich:
„Wer ist denn derjenige, von dem du sprichst?“
„Nun, er ist freilich kein passender Gesellschafter für euch. Er ist ein armer Schneider, der nicht einmal einen festen Wohnsitz hat.“
„Wie heißt er?“
„Afrit ist sein Name.“
„Der paßt freilich nicht zu seiner Gestalt. Er heißt also ‚Riese‘ und ist doch fast ein Zwerg zu nennen.“
„Für seinen Namen kann er nichts, den hat er seinem Vater zu verdanken. Vielleicht war dieser auch so ein kleiner Kerl und hat gewünscht, daß sein Sohn größer werde.“
„Stammt er von hier?“
„Wo er geboren wurde, das weiß niemand. Er ist überall nur als reisender Schneider bekannt. Wo er Arbeit findet, da kehrt er ein und bleibt so lange, bis er fertig ist. Mit der Kost und mit einer kleinen Bezahlung ist er zufrieden.“
„Ist er ehrlich?“
„In hohem Grad. Er ist sogar wegen seiner Uneigennützigkeit zum Sprichwort geworden. Ehrlich wie der reisende Schneider, pflegt man zu sagen.“
„Woher kommt er heute?“
„Aus Sletowo, welches im Norden von uns liegt.“
„Und wohin will er?“
„Nach Uskub und noch weiter. Da du auch dorthin willst, glaubte ich, ihn dir empfehlen zu müssen. Auf der Straße reitest du um, und der direkte Weg ist nur sehr schwer zu finden.“
„Hast du mit ihm schon von uns gesprochen?“
„Nein, Herr. Er weiß gar nicht, daß Fremde hier sind. Er fragte nur, ob er hierbleiben könne bis morgen früh. Ich wollte ihm Arbeit geben, aber er konnte sie nicht annehmen, denn er wird wegen eines Krankheitsfalles erwartet.“
„Wo ist er jetzt?“
„Hinter dem Hause, wo er sein Pferd zur Weide tut. Diesem Tier kannst du ansehen, wie arm er selbst ist.“
„So erlaube ihm nachher, zu uns hereinzukommen. Er mag unser Gast sein.“
Bald kam denn auch der Mann. Er war sehr klein und schwach gebaut und auch gar ärmlich gekleidet. Sein Wesen schien sehr gedrückt zu sein, und er nahm bescheiden in der Ecke Platz. Waffen trug er außer einem Messer gar nicht bei sich und bald zog er ein Stück harten Maiskuchen aus der Tasche, um ihn zu verzehren. Dieser Arme war sicher kein Verbündeter von Räubern. Ich lud ihn ein, bei uns Platz zu nehmen und von den Resten unseres Mahles zu essen, welche noch auf dem Tisch standen.
„Herr, du bist freundlich“, sagte er höflich, „und ich habe wirklich Hunger und Durst. Aber ich bin ein armer Schneider und darf mich nicht zu solchen Herren setzten. Wenn du mir etwas geben willst, so nehme ich es dankbar an, aber ich bitte dich um die Erlaubnis, es hier verzehren zu können.“
„Wie du willst. Halef, setze ihm vor!“
Der Hadschi legte ihm so viel vor, daß mehrere Personen hätten satt werden können, und stellte ihm auch Bier und Raki hin.
Als der Mann sich gelabt hatte, kam er herbei, reichte mir die Hand und bedankte sich in ehrerbietigen Ausdrücken. Er hatte ein so verkümmertes, ehrliches Gesicht, und sein Blick war so aufrichtig, daß ich mich sehr für ihn eingenommen fühlte.
„Hast du Verwandte?“ fragte ich ihn.
„Keinen Menschen. Weib und Kinder sind mir vor zwei Jahren an den Pocken gestorben. Nun bin ich allein.“
„Wie heißt du?“
„Man nennt mich allgemein den reisenden Schneider, aber mein Name ist Afrit.“
„Kannst du mir sagen, wo deine Heimat ist?“
„Warum nicht? Ich muß doch wissen, wo ich geboren bin! Ich stamme aus einem kleinen Gebirgsdorf im Schar Dagh; Weicza heißt es.“
Ah, das war ja der Ort, von welchem mir der sterbende Gefängnisschließer gesagt hatte, daß dort das gesuchte Karanorman-Khan sei. Das Zusammentreffen mit diesem armen Mann konnte von großem Vorteil für mich sein.
„Bist du dort bekannt?“ fragte ich.
„Sehr gut; ich bin ja oft dort.“
„Wann wirst du wieder hinkommen?“
„Eben
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