16 - Im Schatten des Grossherrn 05 - Durch das Land der Skipetaren
wenn er es wagt, sein Gewehr gegen mich zu erheben, so ist er verloren!“
„Herr, Allah ist mein Zeuge, daß dies doch vermessen ist!“ rief er zornig.
„Es ist nicht Vermessenheit. Ich weiß, was ich sage!“
„Und ich sage dir: selbst wenn seine Kugel dich aus irgend einem Grunde fehlen sollte, so bist du doch seinem Czakan verfallen. Er ist ein Meister im Werfen desselben. Du aber, hast du einmal ein Heiduckenbeil geworfen?“
„Nein.“
„So bist du verloren. Und wenn du ihm auch entgingst, so sind doch die anderen da, denen du gestern entkommen bist. Sie können hier hinter jedem Busch stecken, um dich zu überfallen.“
„Das ist unmöglich!“
„Warum?“
„Weil sie nach Engely geritten sind. Und wären sie hier, so gäbe es Spuren von ihnen; mein Pferd würde sie durch Schnauben verraten, und ich würde sie bereits von weitem erkennen, denn meine Augen sind seit langen Jahren den Wald gewohnt.“
Er war jedenfalls höchst überzeugt, daß ich in einer Stunde nicht mehr leben würde; darum ärgerte es ihn, daß ich mich so geringschätzig über meine Feinde äußerte.
„Ich wiederhole es“, sagte er, „dir ist nicht zu helfen. Du glaubst ja selbst der Wahrheit nicht, daß sie wahr ist!“
„Wenn sie erst verlangt, daß ich ihr glauben soll, so ist sie eben nicht wahr! Wollen abbrechen. Du wirst uns noch besser kennenlernen als bisher. Wenn ich es will, so geht das Gewehr des Miriditen nicht los, er mag sich noch so große Mühe geben.“
„So könntest du wirklich zaubern?“
„Pah! Ich kann auch nicht mehr als andere Menschen; aber ich habe noch anderen Männern gegenüber gestanden, als dieser Bruder des Fleischers ist, und ich weiß, wie ich mich gegen ihn zu wehren habe. Halef, wenn er mich anfällt, so überlaßt ihn mir allein. Ihr sollt dabei gar nichts zu tun haben.“
„Wie du willst, Sihdi“, antwortete der Kleine gleichmütig.
Die Steilungen, welche zu dem Plateau von Jerßely führen, sind mit Wald bestanden; das Plateau selbst aber trägt prächtige Weiden und Ackerfelder. Wir hatten den Baumgürtel hinter uns und ritten nun über einen weiten, ebenen Plan, welcher mit kurzem, dünnhalmigen Gras bestanden war. Zuweilen unterbrach ein Buschwerk die Fernsicht.
Da kamen wir auf eine Pferdespur, welche von links herüberführte und dann ganz genau in unsere Richtung einbog. Ich hielt an und betrachtete sie, indem ich mich vom Sattel niederbeugte.
„Was suchst du hier?“ fragte der Schneider.
„Ich will sehen, wer hier geritten ist“, antwortete ich.
„Wie willst du das sehen?“
„Nach meiner Art und Weise, die du freilich nicht kennst. Ich sehe, daß der Miridit es war. Er ist vor ungefähr einer Viertelstunde hier vorübergekommen.“
„Das kannst du doch unmöglich behaupten!“
„O doch! Die niedergetretenen Gräser verraten mir ganz genau die Zeit. Reiten wir weiter.“
Jetzt hatte ich zweierlei zu beobachten, nämlich die Fährte und auch den Schneider. Ich bemerkte, daß sich eine gewisse Unruhe seiner bemächtigt hatte. Sein Blick wurde unstet und doch schärfer dabei. Er sah bald nach rechts und bald nach links, und es schien mir, als ob er ganz besonders nach den Büschen spähte, an denen wir vorüberkamen.
Hatte das einen bestimmten Grund? Jedenfalls! Darum beobachtete ich nun selbst auch die Sträucher schärfer und da bemerkte ich bald, daß der Miridit unserem Führer geheime Weisung erteilte.
Bald links und bald rechts war ein Zweig geknickt und nach der Richtung gelegt, welche wir einhalten sollten.
Sie hatten sich natürlich darüber verabredet und ganz gewiß geglaubt, einen ungeheuer klugen Gedanken gefaßt zu haben. Ich hätte nun meine Beobachtungen mir zunutze machen können, ohne ein Wort darüber zu sprechen; aber dieser Schneider sollte nicht innerlich über uns lachen. Wie er selbst den Überfall voraussah, so wollte auch ich denselben voraussagen.
Darum hielt ich, als wir wieder an eines dieser Zeichen gelangten, an und sagte zu Halef:
„Hadschi, siehst du diesen umgebrochenen Zweig?“
„Ja, Herr.“
„Wer mag ihn umgebrochen haben?“
„Irgend ein Wild.“
„Das könnte nur ein Hochwild gewesen sein, und dann müßten wir die Fährte desselben sehen.“
„Das Gras hat sich wohl wieder aufgerichtet, so daß sie nicht mehr zu sehen ist.“
„In diesem Falle wären viele Stunden vergangen, seit der Zweig umgebrochen wurde, und dann müßte die Bruchfläche verdorrt sein. Sie ist aber noch so frisch und
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