16 Tante Dimity und das verhexte Haus (Aunt Dimity and the Family Tree)
sehen, wie Sallys Nase zuckte, als sie neuen Stoff für Tratsch und Klatsch witterte. Selbst in diesem desolaten Zustand, in dem die arme Frau sich offensichtlich befand, konnte sie das Schnüffeln nicht lassen.
» Seit sehr Kurzem«, erwiderte ich knapp. » Ich begleite Mrs Pyne nach drinnen, Deirdre.«
» Soll ich vielleicht Tee ins Arbeitszimmer bringen?«, erkundigte sich diese.
» Ja, bitte, das wäre sehr nett.«
Deirdre nickte und entfernte sich in Richtung Küche, während ihre Absätze auf dem Marmorboden klickten.
Sally Pyne sah aus, als könnte sie ein Stärkungsmittel vertragen. Ihr rundes Gesicht war rot wie eine Tomate, ihr kurzes silberfarbenes Haar stand in allen Richtungen von ihrem Schädel ab, und aus einer Tasche ihrer Trainingshose ragte ein zerknülltes Stofftaschentuch. Ich legte den Arm um ihre molligen Schultern und führte sie sanft den Flur entlang.
» Was heißt seit Kurzem?«, fragte Sally, nicht bereit, so schnell vom Thema abzulassen.
» Seit etwas weniger als einer Stunde«, lautete wahrheitsgemäß meine Antwort. » Sie haben sich auf dem Weg nach Finch hoffnungslos verfahren.«
» Sie?«, fragte Sally barsch.
» Deirdre und Declan Donovan«, erklärte ich. » Sie sind verheiratet. Er wird sich um den Garten kümmern.«
» Iren?«, wollte Sally wissen.
» Er schon, glaube ich. Bei ihr bin ich mir nicht sicher.«
Sally nickte abwesend. » Ist ihr Schönheitsfleck echt?«
» Ich habe nicht ausprobiert, ob man ihn wegwischen kann«, erwiderte ich und rollte die Augen, » aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie damit geboren wurde.«
» Sieht irgendwie exotisch aus«, murmelte Sally.
» Bemerkenswert«, sagte ich, indem ich Bills Ton nachahmte.
» Ist das Gleiche«, gab sie zurück.
» Gut, hier wären wir.« Ich öffnete die Tür des Arbeitszimmers.
Als Sally und ich eintraten, standen Bill und Willis senior auf, aber Sally schien sie gar nicht wahrzunehmen. Schweigend und mit gesenktem Blick ließ sie sich in den Ledernoppenstuhl sinken, den ich für sie vor den Schreibtisch gerückt hatte. Ich setzte mich in den Stuhl daneben, damit ich auch kein Wort von dem verpasste, was zwischen ihr und meinem Schwiegervater gesprochen werden würde.
» Guten Abend, Mrs Pyne«, sagte Willis senior, und er und Bill nahmen ebenfalls wieder Platz. » Oder sollte ich vielleicht besser guten Morgen sagen?«
Sally fischte ihr Taschentuch aus der Tasche und tupfte sich die Augen ab. » Was müssen Sie von mir denken, wo ich in diesem Zustand und zu dieser Uhrzeit bei Ihnen auftauche?«
» Ich nehme an, dass Sie nicht leichtfertig um eine Unterredung gebeten haben«, sagte Willis senior. » Bitte beruhigen Sie sich doch, Mrs Pyne. Sie sind unter Freunden. Was in diesem Raum gesprochen wird, wird mit äußerster Diskretion behandelt werden.«
» A-Aber das ist g-genau das P-Problem«, heulte Sally los. » In F-Finch gibt es k-keine P-Privatsphäre.« Sie schüttelte den Kopf, barg das Gesicht in ihrem Taschentuch und brach in Tränen aus.
Es wurde an die Tür geklopft, und Deirdre Donovan erschien und trug ein Silbertablett mit einer hübschen georgianischen Teekanne, einem exquisiten Rockingham-Teeservice und einer großen Schachtel mit Papiertaschentüchern herein. Ich sah von der Schachtel zu Deirdres unbewegter Miene und fragte mich, ob sie an hysterische Besucher gewöhnt war, die unangekündigt mitten in der Nacht hereinplatzten. Wenn dem so war, musste sie in einer Reihe interessanter Haushalte gearbeitet haben.
Auf ein Zeichen meines Schwiegervaters hin platzierte sie das Tablett auf das Sheraton-Sideboard. Ohne dazu aufgefordert worden zu sein, rückte sie den Papierkorb, der hinter dem Schreibtisch stand, nach vorn neben Sallys Füße und stellte die Schachtel mit den Papiertaschentüchern in Sallys Griffnähe auf den Schreibtisch. Dann trat sie zurück und sah ihren Arbeitgeber erwartungsvoll an.
» Benötigen Sie noch etwas, Sir?«, fragte sie.
» Nein, danke, Mrs Donovan«, erwiderte Willis senior. » Ich werde Ihre Dienste erst wieder zum Frühstück in Anspruch nehmen.«
» Um wie viel Uhr beabsichtigen Sie zu frühstücken, Sir?«
Willis senior maß Sally mit einem kurzen Blick, ehe er antwortete: » Um neun Uhr, denke ich.«
» Sehr gern, Sir.« Deirdre ging hinaus und schloss die Tür.
Ich schenkte Tee ein. Während Bill und sein Vater an ihren Tassen nippten, schüttete Sally ihn hinunter wie einen Schluck Whisky. Das heiße, süße Getränk schien ihr Mut
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