16 Uhr 50 ab Paddington
anderen Brüder später gekommen.»
«Alfred kam am späten Samstagabend. Er meinte, er hätte am Freitagnachmittag versucht, mich anzurufen, aber da war ich eben unterwegs – und wenn mein Vater wütend ist, geht er nie ans Telefon. Mein Bruder Harold ist erst am Heiligabend gekommen.»
«Vielen Dank, Miss Crackenthorpe.»
«Es gehört sich wahrscheinlich nicht, aber…», sie zögerte, «welche neuen Ergebnisse veranlassen Sie zu diesen Fragen?»
Craddock zog die Fototasche aus der Tasche. Mit den Fingerspitzen entnahm er ihr den Briefumschlag.
«Bitte nicht berühren, aber kommt Ihnen das bekannt vor?»
«Aber…» Emma starrte ihn entgeistert an. «Das ist ja meine Handschrift. Das ist mein Brief an Martine.»
«Das hatte ich mir gedacht.»
«Aber woher haben Sie den? Hat sie –? Haben Sie sie gefunden?»
«Es ist möglich, dass wir sie – gefunden haben. Dieser leere Briefumschlag wurde hier gefunden.»
«Im Haus?»
«Auf Ihrem Grund und Boden.»
«Dann war sie also hier! Sie… heißt das – es war Martine – im Sarkophag?»
«Es sieht ganz danach aus, Miss Crackenthorpe», sagte Craddock behutsam.
Als er in die Stadt zurückkam, sah es noch mehr danach aus. Eine Nachricht von Armand Dessin erwartete ihn.
«Eine Freundin von Anna Strawinska hat eine Postkarte von ihr bekommen. Die Kreuzfahrtgeschichte stimmt anscheinend! Sie ist auf Jamaika angekommen und amüsiert sich – in ihren Worten – königlich!»
Craddock zerknüllte die Nachricht und warf sie in den Papierkorb.
III
«Menschenskind», sagte Alexander, der im Bett saß und andächtig an einem Schokoriegel knabberte, «das war heute echt ein Klassetag. Wir haben wirklich und wahrhaftig ein Beweisstück gefunden!»
Er sprach mit ehrfürchtiger Stimme.
«Die ganzen Ferien waren eigentlich klasse», fügte er glücklich hinzu. «Ich glaube nicht, dass ich so etwas noch einmal erlebe.»
«Ich hoffe, dass ich es nicht noch einmal erlebe», sagte Lucy, die vor Alexanders Koffer kniete und seine Sachen packte. «Willst du alle diese Zukunftsromane mitnehmen?»
«Nein, die beiden ganz oben nicht. Die kenne ich schon. Den Fußball, meine Fußballschuhe und die Gummistiefel kann ich extra nehmen.»
«Ihr Jungen nehmt ganz schön sperrige Sachen mit, wenn ihr auf Reisen geht.»
«Das macht nichts. Wir werden mit dem Rolls abgeholt. Sie haben einen klasse Rolls. Und so einen neuen Mercedes-Benz haben sie auch.»
«Da müssen sie ja reich sein.»
«Stinkreich! Aber auch mächtig nett. Trotzdem würde ich viel lieber hier bleiben. Wenn nun noch eine Leiche auftaucht.»
«Danke, kein Bedarf.»
«In Büchern ist das aber oft so. Wenn da jemand etwas gesehen oder gehört hat, wird der auch kaltgemacht. Vielleicht sind Sie das sogar», sagte er und wickelte einen zweiten Schokoriegel aus.
«Na, herzlichen Dank!»
«Ich wünsche es Ihnen ja nicht», versicherte Alexander ihr. «Ich mag Sie sehr und Stodders auch. Wir finden, als Köchin sind Sie einfach phantastisch. Ihre Fressalien sind einsame Spitze. Außerdem sind Sie echt vernünftig.»
Das Letzte war eindeutig ein Ausdruck höchsten Lobes. Lucy verstand es auch so und sagte: «Danke. Aber ich habe trotzdem keine Lust, mich umbringen zu lassen, bloß um dir einen Gefallen zu tun.»
«Na, dann sehen Sie sich lieber vor», schärfte Alexander ihr ein.
Nachdem er sich gestärkt hatte, sagte er mit einer gewissen Lässigkeit:
«Wenn Dad ab und zu vorbeikommt, dann kümmern Sie sich doch um ihn, oder?»
«Ja, natürlich», sagte Lucy leicht überrascht.
«Das Problem mit Dad ist nämlich, London bekommt ihm nicht», erklärte Alexander. «Er gerät immer an die falschen Frauen, wissen Sie.» Er schüttelte besorgt den Kopf.
«Ich mag ihn sehr», sagte er dann, «aber er braucht einen Menschen, der sich um ihn kümmert. Er lässt sich treiben und gerät an die falschen Leute. Es ist jammerschade, dass Mom so früh gestorben ist. Bryan braucht ein richtiges Zuhause.»
Er sah Lucy bedeutungsvoll an und griff nach dem nächsten Schokoriegel.
«Nein, drei sind genug, Alexander», bat Lucy. «Am Ende musst du noch spucken.»
«Das glaube ich nicht. Einmal habe ich sechs gegessen, und da ist mir auch nicht schlecht geworden. So leicht muss ich nicht spucken.» Nach einer Pause fuhr er fort:
«Bryan mag Sie, wissen Sie.»
«Das ist sehr nett von ihm.»
«Er ist in mancher Hinsicht ein Esel», sagte Bryans Sohn, «aber er war ein mächtig guter Kampfflieger. Er ist
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