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16 Uhr 50 ab Paddington

16 Uhr 50 ab Paddington

Titel: 16 Uhr 50 ab Paddington Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Dasselbe galt für den Pullover für Hector… sie freute sich über ihre wohl durchdachten Erwerbungen.
    Ihr entspannter Blick kehrte zum Fenster zurück, kreischend brauste ein Zug in Gegenrichtung vorbei, ließ die Scheiben erklirren und Mrs. McGillicuddy hochschrecken. Der Zug ratterte über ein paar Weichen und passierte einen Bahnhof.
    Dann verlangsamte er plötzlich das Tempo, vermutlich vor einem Signal. Ein paar Minuten lang kroch er noch dahin, blieb dann stehen, nahm aber sogleich wieder Fahrt auf. Ein weiterer Zug nach London fuhr an ihnen vorbei, allerdings nicht so schnell wie der erste. Ihr Zug beschleunigte wieder. Da näherte sich ihnen auf fast beängstigende Weise ein zweiter, in dieselbe Richtung wie sie fahrender Zug. Beide Züge fuhren eine Weile nebeneinander her, mal holte der eine etwas auf, mal der andere. Mrs. McGillicuddy sah aus dem Fenster in die Abteile des anderen Zuges. Meist waren die Rouleaus herabgezogen, aber dann und wann konnte sie Reisende sehen. Der andere Zug war nur schwach besetzt, und viele Abteile waren leer.
    Als die beiden Züge gerade den Eindruck erweckten stillzustehen, schnellte drüben ein Rouleau hoch. Mrs. McGillicuddy sah in das nur wenige Meter entfernte beleuchtete Erste-Klasse-Abteil.
    Plötzlich rang sie nach Luft und erhob sich halb von ihrem Sitz.
    Mit dem Rücken zum Fenster und zu ihr stand dort ein Mann. Er hatte die Hände um den Hals einer vor ihm stehenden Frau gelegt, und langsam und grausam erdrosselte er sie. Ihre Augen quollen hervor, ihr Gesicht war dunkelrot und verzerrt. Während Mrs. McGillicuddy noch wie gebannt zusah, trat das Ende ein; der Körper erschlaffte und entglitt den Händen des Mannes.
    In diesem Moment verringerte Mrs. McGillicuddys Zug die Geschwindigkeit wieder, und der Nachbarzug beschleunigte. Er überholte und war nach wenigen Augenblicken außer Sicht.
    Mrs. McGillicuddy griff instinktiv nach der Notbremse, aber dann zögerte sie. Welchen Sinn hatte es schließlich, ihren Zug zum Halten zu bringen? Die merkwürdigen Umstände und die aus nächster Nähe gesehene Gräueltat lähmten sie. Irgendetwas musste sie unverzüglich unternehmen – aber was?
    Die Tür ihres Abteils wurde aufgezogen, und ein Schaffner sagte: «Ihre Fahrkarte, bitte.»
    Mrs. McGillicuddy drehte sich ungestüm zu ihm um.
    «Eine Frau ist erdrosselt worden», sagte sie. «In dem Zug, der uns eben überholt hat. Ich habe es gesehen.»
    Der Schaffner sah sie ungläubig an.
    «Wie meinen Sie, Madam?»
    «Ein Mann hat eine Frau erdrosselt! In einem Zug. Ich habe es gesehen – da draußen.» Sie zeigte auf das Fenster.
    Der Schaffner wirkte äußerst ungläubig.
    «Erdrosselt?», fragte er argwöhnisch.
    «Jawohl, erdrosselt! Ich sage Ihnen doch, ich habe es gesehen. Sie müssen sofort etwas unternehmen!»
    Der Schaffner räusperte sich nachsichtig.
    «Madam, meinen Sie nicht, dass Sie vielleicht ein Nickerchen gemacht und – ähm –», er verstummte taktvoll.
    «Ich habe allerdings ein Nickerchen gemacht, aber wenn Sie glauben, ich hätte geträumt, dann irren Sie sich. Ich sage Ihnen doch, ich habe es gesehen.»
    Der Blick des Schaffners fiel auf die offene Zeitschrift auf dem Sitz. Die aufgeschlagene Seite zeigte ein Mädchen, das erdrosselt wurde, während ein Mann in der Tür stand und das Paar mit einem Revolver bedrohte.
    Der Schaffner sagte begütigend: «Wäre es nicht denkbar, Madam, dass Sie eine spannende Geschichte gelesen haben, eingenickt und dann ein wenig verwirrt aufgewacht sind –»
    Mrs. McGillicuddy fiel ihm ins Wort.
    «Ich habe es mit eigenen Augen gesehen», sagte sie. «Ich war so hellwach wie Sie. Und ich habe durch das Fenster in das Abteil eines neben uns fahrenden Zuges gesehen, und dort hat ein Mann eine Frau erdrosselt. Und jetzt möchte ich von Ihnen wissen, was Sie zu tun gedenken.»
    «Also – Madam –»
    «Irgendetwas werden Sie doch tun, hoffe ich.»
    Der Schaffner seufzte widerstrebend und sah auf die Uhr.
    «Wir kommen in genau sieben Minuten in Brackhampton an. Ich werde Ihre Angaben dort melden. In welche Richtung fuhr der besagte Zug denn?»
    «In unsere natürlich. Glauben Sie vielleicht, ich hätte das alles sehen können, wenn ein Zug in Gegenrichtung an uns vorbeigebraust wäre?»
    Der Schaffner sah aus, als traue er Mrs. McGillicuddy zu, alles Mögliche zu sehen, wenn die Phantasie mit ihr durchging. Aber er blieb höflich.
    «Sie können sich auf mich verlassen, Madam», sagte er. «Ich werde Ihre Aussage

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