160 - Der untote Kreuzritter
Zwitter aufmerksam. Seine Haut war ungewöhnlich blaß, und die vollen, sinnlichen Lippen leuchteten wie ein rotes Signal in seinem schmalen, kreideweißen Gesicht. Das blondgelockte Haar, wirr und ungekämmt, fiel auf die schmalen Schultern herunter. Seine Hände waren ständig in Bewegung, es schien, als führten sie ein eigenes Leben. Irgendwie wirkte er albinoid, doch seine tief in den Höhlen liegenden Augen schimmerten nicht rötlich, sondern hatten einen goldenen Glanz.
Martin lief auf seine Mutter zu, die ihn hochhob und liebkoste. Ich war noch immer ein Fremder für ihn. Daß ich sein Vater war, das sagte ihm nur wenig. Dazu kam noch, daß ich ihn höchst selten sah. Das traf aber auch auf Coco zu, doch sie hatte ihn öfters in der Klosterschule Sacre Coeur besucht. Außerdem konnten Coco und Martin in Gedankenkontakt treten.
Über seine Zukunft hatte ich mir oft Gedanken gemacht, doch ich war zu keiner Lösung gekommen. Vermutlich vermißte er auch seine Freunde aus der Schule, auf dieser alten Burg hatte er nur einen Spielgefährten, Tirso, den blauhäutigen Zyklopenjungen. Ich wußte, daß Martin sich oft einsam und verlassen fühlte. Er war frühreif und ungemein intelligent, und teilweise verstand er die Probleme, die ihn betrafen. Mein Sohn schwebte ständig in Lebensgefahr, denn die Dämonen lauerten sicherlich nur darauf, ihn zu entführen und Coco und mich dadurch zu erwischen.
„Was ist denn geschehen, mein Sohn?"
„Ich spielte mit Tirso", antwortete Martin schluchzend, „da stürzte Phillip auf mich zu, riß mich zur Seite, berührte Tirso, der brüllte und davonlief. Phillip ergriff meine Hand, ich wollte sie abschütteln, doch er… Durch den ganzen Gang hetzte er mich, und nun bin ich da. Ich habe Angst, Ma. So hat sich Phillip nie zuvor aufgeführt."
Nun erwachte mein Mißtrauen. Der Hermaphrodit hatte mir schon oft wichtige Hinweise gegeben, aber er war nicht fähig, seine Talente in für Menschen verständliche Bahnen zu lenken. Zu einer normalen Konversation war er kaum imstande, aber aus seinem unverständlichen Gestammel konnte ich gelegentlich etwas verstehen.
„Lichtfunken", flüsterte Phillip fast unhörbar. „Glühender Schweif. Diese Kräfte."
Er blickte mich nun an, und seine Augen wurden größer.
„Spürst du nicht die Kraft?" fragte er.
„Sprich weiter", sagte ich drängend.
Phillip wandte den Kopf und starrte die Bücherwand an. Ein paar Bände fielen aus dem Regal und krachten zu Boden. Ein astronomisches Werk rutschte über den Boden auf mich zu, stieß an meine rechte Schuhspitze und wurde aufgeschlagen.
Ich bückte mich, hob das Buch hoch und erstarrte.
Auf einer Seite war ein Komet abgebildet.
Der Text darunter lautete: „Die älteste bekannte Darstellung des Halleyschen Kometen ist ein Holzschnitt aus den Nürnberger Chroniken, die den Schweifstern bei seinem Erscheinen im Jahre 684 zeigt; damals wurde er für schwere Unwetter, eine Mißernte sowie eine Seuche verantwortlich gemacht."
Ich hielt Coco und Abi das Bild hin, und beide verstanden sofort.
Was wir schon lange befürchtet hatten, schien nun einzutreten. Der schädliche Einfluß des „Sterns der Vernichtung", wie der Komet in der Schwarzen Familie bezeichnet wurde, schien nun auch nach Castillo Basajaun zu reichen.
Der Hermaphrodit griff nun nach den Fotokopien, sah ein Blatt genau an, dann ließ er es fallen und wandte sich zitternd ab.
„Böse!" schrie er.
Sein Körper wurde durchgeschüttelt, als würde er unter schrecklichen Krämpfen leiden.
„Kreuzritter ist böse", keuchte er. „Er bringt den Tod. Überall ist Blut."
Nun schluchzte er und wich angstvoll zurück.
„Hermon", hauchte er. „Tempel. Ja. da ist es… Bild… sehr verschwommen… Helm und Kettenhemd… Streitaxt… Kreuzritter, er schlägt zu. ..Blut… viel Blut…"
Das rief in mir eine Erinnerung wach. Im Tempel des Hermes Trismegistos hatte ich sieben Visionen gehabt - und eine achte, die die Zerstörung des Tempels prophezeite. Der Tempel war zerstört worden. Einige der anderen hatten sich bereits erfüllt.
Ganz genau konnte ich mich erinnern.
Ein Kind von etwa drei Jahren in einem Wohnraum. Es war Martin gewesen, dessen Entsetzen ich deutlich gespürt hatte.
Zuckende Menschen, die von einem scheußlichen Monster in sich hineingezogen wurden. Dabei konnte es sich um das Ungeheuer gehandelt haben, dem Coco in Wien begegnet war.
Auch die Szene, die mich an den Dreißigjährigen Krieg erinnerte, war mir
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