1603 - Der Geistertänzer
sie alles erlebt hatte, sahen die Dinge anders aus.
»Und wie ging es weiter?«
»Die Wolke trieb nicht weg. Ich - ich konnte mich nicht von der Stelle rühren. Ich musste sie nur anstarren, bis ich dann eine Stimme hörte, die direkt aus ihr drang. Sie sprach davon, dass sie im Reich der Dämonenseelen wäre. Und dass es etwas Besonderes sei. Etwas Mächtiges und Unwahrscheinliches wäre der Hüter, und er würde nicht vergessen, was seinem Diener angetan worden war.«
»Das heißt, er wollte sich rächen?«
»Ja, das meine ich. Rache, die mich treffen würde. Eine eiskalte Rache, die mir nicht nur den Tod bringen würde, sondern noch etwas viel Schlimmeres, das dahinter lauert.«
»Und das ist?«
»Du siehst es. Die Jagd nach mir. Meine Unruhe, die einfach nicht verschwinden will. Und die Angst, die ich auch jetzt spüre.«
Isabel nickte. »Deshalb hast du damals deine Heimat verlassen?«
»Ja.«
Sie schüttelte den Kopf. »Himmel, das ist alles so schrecklich! Aber ich mache dir keinen Vorwurf. Für mich bist du kein Mörder. Du hast getan, was getan werden musste.«
»Danke.«
»Und jetzt?«
»Weißt du alles, Isabel. Es reicht. Ich möchte, dass du gehst. Mein Schicksal wird sich hier erfüllen.«
Sie biss sich auf die Lippen. »Nein, mein Freund. Wir sind zwar kein Ehepaar, aber wir gehören zusammen. Und so lange ich lebe, wirst du daran nichts ändern.«
»Sag das nicht.«
»Warum nicht?«
»Schau dich um!«
Es war eine Warnung gewesen. So hatte Isabel sie auch verstanden.
Bisher war sie nur auf den Geistertänzer konzentriert gewesen, doch schon nach der ersten Bewegung sah sie, dass sie und Julius nicht mehr allein waren. Ihre Feinde hätten den Weg gefunden. Aus dem breiten Spiegel löste sich eine dunkle Wolke, die alles überschwemmen würde, wenn sie einmal mit ihrer gesamten Masse in den Saal eingedrungen war.
Die Tänzerin konnte nichts mehr sagen. Alles in ihrer Halsgegend war zugeschnürt. Isabel dachte daran, wie Paula Ashley ums Leben gekommen war, und plötzlich kam ihr der Gedanke, dass sie das gleiche Schicksal erleiden würde.
»Du musst fliehen, Isabel!«
Sie schüttelte den Kopf. Zudem war sie nicht mehr in der Lage, die Flucht zu ergreifen. Sie war irgendwie von der Wolke fasziniert.
Längst hatte der Angreifer die breite Spiegel wand verlassen. In dünnen Fahnen kroch die schwarze Wolke hervor, und glitt lautlos weiter. Ein Ungeheuer aus einer fremden Welt oder Zone, das das Grauen und den Tod brachte.
Isabel hatte die Wolke nach dem Verlassen der Spiegelfläche nur als dünne Schwaden erlebt. Aber das blieb nicht so. Die Schwaden lösten sich nicht auf, sie drängten sich zusammen, wurden kompakter.
Und sie näherten sich. Sie gaben keinen Laut von sich.
Es wäre jetzt die letzte Gelegenheit für eine Flucht gewesen, doch Isabel blieb stehen. Sie schaute jetzt in diese dunkle und völlig lichtlose Wolke hinein.
Es war nichts zu erkennen. Sie verspürte eine Kälte, wie es sie auf dieser Welt nicht gab. So musste sich der Tod anfühlen. So grausam und ohne Wärme.
»Isabel - bitte…«
Die Stimme hörte sie dicht neben sich. Hinsehen musste sie nicht, denn sie wusste, dass Julius neben ihr stand.
»Dann werden wir gemeinsam in den Tod gehen.«
»Nein, du nicht.«
»Ich will an deiner Seite bleiben. Ich kann nicht akzeptieren, dass das Böse triumphiert.«
»Es gibt keine Rettung.«
Darauf wusste Isabel nichts zu sagen. Wenn sie allerdings ehrlich war, dann musste sie zugeben, dass der Geistertänzer recht hatte, denn die dämonische Wolke hatte sie erreicht…
***
Wasserrohrbruch!
Auch das gab es noch in dieser technisierten Zeit.
Die Temperaturen waren weit bis unter den Nullpunkt gesunken und hatten für dieses Malheur gesorgt. Die Folge davon waren Straßensperrungen und Umleitungen, durch die Suko und ich viel Zeit verloren.
Zwar waren wir nicht auf den letzten Drücker losgefahren, aber pünktlich konnten wir nicht sein. Wir mussten die Sirene und das Blaulicht einsetzen. Das verschaffte uns ein besseres Durchkommen, und so waren wir froh, als wir den Hinterhof des Theaters endlich erreicht hatten.
Da gab es ein Tor, das offen stand. Unsere Scheinwerferstrahlen rissen die Dunkelheit entzwei. Wir mussten nicht lange suchen, um die Hintertür zu entdecken. Wir fuhren so dicht an sie heran wie möglich.
Die Scheinwerfer erloschen. Suko und ich stiegen aus. Dabei war ich schneller und zuerst an der Tür.
Ich zügelte meine Ungeduld und wartete, bis
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