1603 - Der Geistertänzer
deiner Nähe.«
»Ja, das spüre ich. Aber warum zeigst du dich nicht?«
»Es ist zu gefährlich. Sie sind mir auf den Fersen. Aber du wirst mich noch sehen.«
»Wann denn und wo?«
»Ich werde dort sein.«
»Im Theater?«
»Ja.«
»Und dann?«
»Werden wir tanzen.«
Isabel schloss die Augen. Dieser letzte Satz trieb ihr die Tränen in die Augen.
»Sei nicht traurig, meine liebe Freundin, aber das Schicksal hat es nun mal so vorgesehen. Du kannst nicht dagegen angehen. Freu dich über unsere Begegnung.«
»Ja, das tue ich auch. Aber was ist mir dir? Hast du denn überhaupt noch eine Chance?«
»Ich hoffe.«
»Man will dich vernichten«, flüsterte sie in den leeren Raum hinein. »Das weiß ich genau. Du hast Feinde, und ich kann sie nicht bekämpfen.«
»Das sollst du auch nicht.«
»Was kann ich dann tun?«
»Vertrauen, Isabel. Du bist nicht allein. Es sind die besten Helfer, die du dir vorstellen kannst, die jetzt an deiner Seite stehen. Ich habe hoch gepokert, aber mein Plan ist aufgegangen. Es sind genau die richtigen Leute aufmerksam geworden. Ich hoffe, dass sie stark genug sind, um mir die ewige Ruhe zu geben.«
»Ja, das wäre wunderbar.«
»Alles ist im Fluss, Isabel. Daran solltest du immer denken. Ich freue mich auf dich und auf unseren letzten gemeinsamen Tanz in der Dancing Hall…«
Die Stimme war bei den letzten Worten immer leiser geworden und Sekunden später versickert.
Isabel blieb allein zurück.
Es war wieder still geworden um sie. Auch von den Feinde des Geistertänzers vernahm sie nichts, und so hatte sie Zeit genug, sich auf den Abend und auf das erneute Treffen mit einem Toten vorzubereiten…
***
Auf dem Hof an der Rückseite des Theaters gab es genügend Platz, um den Wagen abstellen zu können. Um diese Zeit wurden keine Kulissen in großen Trucks angeliefert, und auch Autos der Mitarbeiter gab es nicht.
Sie hatte sich nicht mit John Sinclair und seinem Kollegen Suko zwischendurch abgesprochen. Das bedauerte sie jetzt, als sie nach einem fremden Fahrzeug Ausschau hielt.
Es war keines zu sehen.
Isabel überlegte, ob sie Sinclair anrufen sollte, aber das ließ sie bleiben.
Sie wollte keine Pferde scheu machen. Zudem lag auch etwas vor ihr, was nur sie und ihren toten Tanzpartner anging.
So ging sie schließlich auf die Hintertür zu und spürte, wie nervös sie innerlich war. Ihr Herz schlug schneller. Die Kälte des Abend drückte wie eine Last, aber sie spürte sie kaum.
Isabel besaß einen Schlüssel für die Hintertür. Das schmale Schloss war nicht zugefroren. Zweimal musste sie den Schlüssel drehen, dann stieß sie die Tür auf.
Sie schaltete das Licht ein und sah hinein in den Flur mit den rauen Betonwänden. Einige Plakate versuchten diese Tristesse aufzuheitern, was ihnen nicht gelang. Das lag auch an dem kalten Licht, das von den Leuchtstoffröhren abgestrahlt wurde.
Die Tänzerin ging in die Stille hinein. Sie nahm nicht den Weg zur Bühne, sondern trat in einen Flur, der nach rechts abzweigte.
Hier spürte sie bereits die Wärme eines Heizkörpers. Sie geriet in den Bereich der abgestellten kleinen Kulissen. Sie roch den Stoff eines Vorhangs und nahm auch den Geruch der Schminke auf, der fast überall vorhanden war.
Der Ballettsaal konnte durch eine schmale Tür betreten werden. Isabel stieß sie auf und warf einen Blick in die Dunkelheit. Auch hier schaltete sie das Licht ein.
Vor der breiten Spiegelwand blieb sie stehen. Sie gab das normale Bild wieder. Sie sah sich auf dem Parkettboden stehen, sonst entdeckte sie keinen Menschen.
Es gab auch keinen Geist, der sich ihr gezeigt hätte. Sie vernahm keine Stimme. Sie wurde nicht begrüßt, sie befand sich mutterseelenallein in diesem großen Saal.
Er war - ebenso wie die Bühne - zu ihrer zweiten Heimat geworden. Nie hatte sie sich hier unwohl gefühlt. Nur manchmal hatte sie geflucht, wenn das Training zu hart gewesen war.
An diesem besonderen Abend war alles anders. Da kam ihr der Ballettsaal so fremd vor, als hätte sie ihn zum ersten Mal betreten.
Sie ging weiter und schaute sich dabei im Spiegel zu. Ihre Finger glitten über den Handlauf der Ballettstange, als wollte sie das Holz streicheln.
Wo steckte Julius?
Sie sah nichts von ihm, sie hörte auch nichts und hoffte nur, dass er diese Verabredung nicht vergaß. Wenn er nicht kam, dann war es durchaus möglich, dass er nicht erscheinen konnte, weil die andere Seite stärker gewesen war.
Daran wollte sie nicht denken, und so wartete
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