161 - Vollmond über London
erkannte.
Nun drehte sie sich doch um und hängte ihren Arm über die Stuhllehne. »Rita! Das ist aber eine Überraschung. Lange nicht gesehen, was? Komm rein, schließ die Tür und setz dich. Fielen meine Worte letzten Endes doch noch auf fruchtbaren Boden?«
»Ich bin hier, um etwas loszuwerden«, sagte Rita nervös.
»Du weißt, daß du mit mir über alles sprechen kannst«, erwiderte Candice. »Ich bin eine gute Zuhörerin, aber nicht nur das. Ich bin auch jederzeit bereit, einer Freundin zu helfen.«
Rita hüstelte. »Ich bin nicht das Mädchen, für das du mich hältst, Candice.«
»Versuch nicht, mir einzureden, du wärst so etwas wie ein Wolf im Schafspelz.«
Rita zuckte zusammen, als hätte sie ein blankes Stromkabel berührt. »Wir kennen uns noch nicht lange…« begann sie zögernd und kam dabei langsam näher.
»Aber dennoch sehr gut«, entgegnete Candice.
Rita schüttelte den Kopf. »Das stimmt nicht. Was weißt du denn schon von mir?«
»Daß du ein prima Mädchen bist, mit einem goldenen Herz«, antwortete Candice.
»Du hast keine Ahnung, woher ich komme oder wie es wirklich in mir aussieht, Candice.«
Rita merkte, wie sich ihre Fingernägel verfärbten, dicker und länger wurden. Hastig verbarg sie ihre Hände vor Candice.
»Du läßt diesen Unfug mit dem ›Pussy Cat‹ sein, habe ich recht?« sagte Candice. »Papa Olson wird sich über deine Rückkehr genauso freuen wie ich.« Sie stand auf.
»Du irrst dich. An meinem Entschluß hat sich nichts geändert«, sagte Rita mit rauher Stimme. Sie spürte, wie sich ihre versteckten Hände mit Haaren bedeckten. Der Wolf kam wieder zum Vorschein. Ihr Gesicht war blaß, und sie zitterte.
Candice, die eben zu einer entsetzten Antwort ansetzen wollte, musterte sie erschrocken. »Rita, du bist doch nicht etwa… drogenabhängig? Nein, das ist absurd, das hätte mir auffallen müssen. Bist du krank?«
»Man kann es nicht als Krankheit bezeichnen«, erwiderte Rita mit einer Stimme, die ihren klaren Klang verloren hatte.
»Aber du fühlst dich nicht wohl, das sieht ein Blinder, Kann man dagegen nichts tun?«
»Ich fürchte nein«, gab Rita zurück.
»Damit muß ich leben, davon ist noch keiner genesen… Wie soll ich es dir erklären? Es ist keine Krankheit im eigentlichen Sinn, sondern ein Zustand - eine dazugewonnene Fähigkeit.«
»Was für eine Fähigkeit?« fragte Candice völlig durcheinander.
Da versteckte Rita Owen ihre Hände nicht länger vor der Freundin, sondern streckte sie vor und sagte: »Begreifst du jetzt, Candice?« Es waren keine Hände mehr, sondern kräftige Pfoten mit langen schwarzen Krallen - Werwolfpranken!
Candice riß bestürzt die Augen auf und starrte die Freundin ungläubig an, »Rita!«
»Ja!« stieß das blonde Mädchen mit einer fremd klingenden Stimme hervor. »Das bin ich! Und du dachtest, mich zu kennen!«
»Was… was ist mit deinen Händen passiert?« stammelte Candice.
»Sie haben sich in Pfoten verwandelt, und wenn ich mich nicht dagegen wehre, werde ich vollends zum Tier. Meine Güte, du kannst doch nicht so vernagelt sein, Candice! Ich bin ein Werwolf.«
»Nein!« schrie Candice entsetzt auf. Staksend wich sie zurück. »Dann hast du mich neulich auf der Heimfahrt überfallen und Ellen Murphy ermordet.«
Zu Candices kompletter Verwirrung schüttelte Rita nun auch noch den Kopf und antwortete: »Nein, Candice, das war ich nicht, das war jemand anderer.«
***
»Befreie mich, Phanie«, flehte Bruce O’Hara.
»Dein Verstand muß gelitten haben«, entgegnete die Wölfin kalt. »Wie kannst du an mich ein solches Ansinnen stellen?«
»Du bist mir zugetan.«
»Aber Terence Pasquanell ist mein Herr. Niemals würde ich einem seiner Befehle zuwiderhandeln. Außerdem bist du ein Feind.«
»Aber nicht dein Feind«, versicherte Bruce. »Wenn du mir hilfst, diesen Kreis zu verlassen, nehme ich dich mit, wir bleiben zusammen.«
»Ein weißer Wolf und eine schwarze Wölfin, das würde nicht gutgehen«, sagte Phanie. »Es ist meine Natur, Menschen zu töten. Wenn ich loszöge, um mir ein Opfer zu suchen, würdest du mich daran hindern, es zu zerfleischen. Werde erst einmal wie ich, dann werde ich über dein Angebot nachdenken, und vielleicht werde ich mich dann sogar gegen den Willen Pasquanells stellen.«
»Du mußt mir helfen, Phanie«, stöhnte Bruce O’Hara. »Terence Pasquanells Magie ist zu stark, ich halte diese Qualen nicht mehr aus. Wie kannst du tatenlos Zusehen, wie ich leide - als wäre ich
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