161 - Vollmond über London
müssen die Polizei verständigen«, riet ihm Mr. Silver. »Hier liegt ein Toter.«
Wir führten die weiße Wölfin zu meinem Rover und betteten sie behutsam auf die Rücksitze.
»Ich habe es nicht geschafft«, schluchzte Rita unglücklich. »Ich… habe… es… nicht… geschafft…!«
»Du hast dein Bestes gegeben«, tröstete Candice die Freundin.
»Ich dachte, ich könnte ihn überraschen, aber er war kräftiger und schneller.«
»Du hast ihn verletzt«, sagte Candice.
»Mich hat es schlimmer erwischt…«
»Das wird wieder, Mädchen«, sagte ich. »Mr. Silver wird dir später noch einmal mit seiner Heilmagie unter die Arme greifen.«
Rita schloß die Augen und machte sie nicht wieder auf.
»Himmel!« schrie Candice bestürzt. »Ist sie…?«
Ich beugte mich über die weiße Wölfin und legte mein Ohr auf ihre Brust. »Ihr Herz schlägt kräftig«, teilte ich Candice mit. »Sie ist nur ohnmächtig.«
***
Alan Burstyn und Ivan Kuby betraten Olsons Bar. Kuby wies mit dem Kinn auf den Toten. »Das wird den Bullen nicht gefallen, Wallace.«
»Denkst du, mir gefällt das?« gab Olson ärgerlich zurück.
»Man lebt gefährlich in deiner Bar«, stellte Kuby fest.
»Spar dir gefälligst deine idiotischen Bemerkungen!« schnauzte ihn Wallace Olson an.
»Vielleicht schließen die Bullen deine Bar jetzt.«
»Das würde dir gefallen. Damit alle Gäste ins ›Pussy Cat‹ abwandern, was? Aber das könnt ihr euch von der Backe streichen. Meine Gäste kriegt ihr nicht. Die sind zu anständig für eure Bumse.«
Ivan Kuby zog die rechte Hand aus der Außentasche seines Jacketts. Sie war verbunden.
»Was hast du denn an der Pfote?« fragte Olson. »Hast du dich verletzt?«
»Ja, geschnitten.«
»Handelt es sich nicht vielleicht um eine andere Verletzung?« fragte Mr. Silver mißtrauisch. Ihm war nämlich etwas aufgefallen: Blut sickerte durch den dicken Mullverband.
Schwarzes Blut!
Ivan Kuby war kein Mensch, sondern ein Schwarzblüter - ein Werwolf! Der Mörder dieses Mannes und Ellen Murphys Killer!
»Um was für eine andere Verletzung denn?« fragte Kuby nervös.
»Nun, vielleicht um eine Bißwunde!« antwortete Mr. Silver rauh und setzte sich in Bewegung.
Ivan Kuby fühlte sich durchschaut, er zog sich zurück, und Alan Burstyn stellte sich schützend vor seinen Freund. Anscheinend wußte er um Kubys schwarzes Geheimnis. Normalerweise lebt ein Mensch in der Nähe eines Werwolfs gefährlich, doch bei Burstyn schien Ivan Kuby eine Ausnahme gemacht zu haben, ihn ließ er unbehelligt. Vielleicht betrachtete er ihn als seinen Gehilfen. Auch Vampire haben hin und wieder Menschen als Diener und vergreifen sich nicht an ihnen, weil sie ihnen nützlich sind.
Ähnlich konnte es hier sein, und Alan Burstyn wollte seine Nützlichkeit gleich wieder unter Beweis stellen.
»Da ist noch eine Rechnung offen, Bester!« sagte Burstyn und stach mit dem Zeigefinger gegen Mr. Silvers Brustbein.
»Du kriegst dein Fett, dafür sorge ich«, sagte der Hüne mit den Silberhaaren. »Der Richter wird dich zu lebenslanger Haft verdonnern. Als Komplize eines Killers.«
»Das muß erst mal bewiesen werden!«
Ivan Kuby beherrschte sich nicht länger. Er stürmte aus der Bar. Draußen wurde er zum Wolf. Burstyn wollte Mr. Silver daran hindern, ihm zu folgen, doch der Ex-Dämon ließ sich nicht aufhalten. Ein Faustschlag zwang Alan Burstyn, sich zu krümmen, und ein Rammstoß beförderte ihn höchst unsanft zur Seite. Er landete zwischen Tischen und Stühlen auf dem Boden.
Inzwischen rannte das Monster über die Fahrbahn. Kurz bevor es um die Ecke verschwand, kam Mr. Silver aus Olsons Bar.
Ivan Kuby entdeckte einen kleinen Sightseeing-Bus. LONDON BY NIGHT stand in riesigen knallbunten Lettern an beiden Seitenwänden. Das Gefährt stand vor einem aufgemotzten Striplokal.
Der Fahrer kannte die Show, die hier geboten wurde, zur Genüge, und sie ödete ihn inzwischen an. Deshalb blieb er in seinem Bus und las einen Reisebericht über den asiatischen Teil der Türkei, den er im Herbst mit Frau und Zelt bereisen wollte. Wenn seine Fahrgäste herauskamen, ging es weiter nach Paddington, wo es zum Abschluß noch ein Mitternachtsdinner gab. Die Tische waren bereits gedeckt.
Schnelle Schritte lenkten den wohlbeleibten Mann von seiner Lektüre ab. Er warf einen Blick in den Außenspiegel und traute seinen Augen nicht, als er einen Werwolf sah. Noch bevor er überhaupt begriff, was er da sah, war der Wolf heran, riß die Tür auf, zerrte
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