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1610 01 - Der letzte Alchimist

1610 01 - Der letzte Alchimist

Titel: 1610 01 - Der letzte Alchimist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Gentle
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ob meines vollständigen Sturzes vor Freude gerötet, und ich stand so weit neben mir, dass ich hätte weinen können.
    Dariole hob den Kopf und schrie: »Hilfe! Im Stall! Feuer! Hilfe!«
    Seine jugendliche Stimme brach, so laut brüllte er. Entsetzen überkam mich. Voll Schadenfreude hatte er den Ruf gewählt, der schnellstmöglich die meisten Zuschauer anlocken würde. Die Dolchspitze bescherte mir einen drückenden Schmerz im Augenlid. Ich erkannte, dass ich mich dagegen wehrte und dass sie die Haut anritzte. Warmes Blut rann mir über Nase und Wange.
    Mehrere Herzschläge vergingen. Nichts geschah. Alles blieb still.
    »Ruft, so viel Ihr wollt«, sagte ich heiser. »Es wird niemand kommen! Dariole … Messire Dariole …«
    Dieser Versuch von Höflichkeit, der so unterwürfig klang wie bei einem Höfling, ließ mein Gesicht wieder glühen. Ich konnte nicht anders, als dem Jungen in die Augen zu blicken. Da war ein Schimmer in seinem Gesicht, wie ich ihn schon bei Männern gesehen hatte, die kurz davor standen, in eine Frau einzudringen, und ich schloss die Augen: Ich wollte noch nicht einmal darüber nachdenken.
    Das Gefühl der Dringlichkeit war alles, was blieb. Nicht nur wegen mir allein muss ich gehen. Ohne über die Konsequenzen von so viel Ehrlichkeit nachzudenken, sagte ich: »Heinrich ist tot. Der König ist in der Rue de la Ferronnerie ermordet worden. Ich muss Paris verlassen.«
    Dariole verträumter Gesichtsausdruck war mit einem Mal wie gefroren. Dann funkelte Wachsamkeit in seinen Augen. Er öffnete die Hand und ließ mein Fleisch los. »Ist das der Grund, warum niemand reagiert?«
    »Ja.«
    »Aber Ihr …?«
    »Ich werde die Stadt verlassen.« Mein Atem war rau, doch ich hatte mich wieder unter Kontrolle. Noch ein paar Augenblicke und ich hätte ihn weit genug eingelullt, dass ich angreifen und ihn töten konnte.
    Wieder verlagerte er sein Gewicht.
    Mit einer geschickten Handbewegung schob er die linke Hand in den Handschutz seines weggeworfenen Rapiers, packte es an seinem asymmetrischen Heft und richtete sich in die Hocke auf.
    Der Dolch drückte nicht mehr auf mein Auge, und die Flecken davor verschwanden. Den Bruchteil einer Sekunde später hatte Dariole die Klinge an meine Eier gelegt.
    »Aufstehen«, sagte er. Er war mir so nahe, dass ich das Parfüm auf seinem höfischen Wams riechen konnte.
    Entsetzen vermag die Muskeln eines Mannes zittern zu lassen, und er wird instinktiv alles tun, um dies zu verhindern. Ich packte die Deichsel des alten Karrens mit tauben Händen. Dabei stieß ich einen Stapel Eimer um, und Rüben rollten über den Boden. Schließlich rappelte ich mich auf und stand schwankend da.
    Dariole wiederum erhob sich gleichzeitig mit mir. Sein Dolch blieb stets an meinen Eiern, doch er schnitt mich nie, auch wenn wir einander förmlich in den Armen lagen. Ich erinnerte mich an den dumpfen Schmerz in meiner Kehle, als er mich mit der Spitze seines Rapiers bei Zaton an die Wand gedrückt hatte. Ich konnte nicht umhin, ihn für seine Waffenfertigkeit zu bewundern, gleichzeitig hätte ich ihn aber auch dafür töten können.
    So viel Scham, Wut und Angst rauschte förmlich durch meinen Körper, dass ich einen Augenblick lang weder hören noch sehen konnte. Ich stand einfach nur da, die Schultern zurückgeschoben, und starrte über Darioles Kopf hinweg. Ich blickte nicht nach unten, wo mir alles aus der Hose hing. Würde ich das geschwollene Fleisch nicht nur fühlen, sondern sehen, wäre die Demütigung so groß, dass ich sie mit seinem Tod nicht mehr würde beenden können – ich selbst könnte dann nicht mehr damit leben.
    In beiläufigem Tonfall sagte er: »Ihr wisst, dass ich Euch vor mir knien lassen könnte, nicht wahr?«
    Ich sprach über ihn hinweg, als könnten mich seine Worte so nicht kümmern. »Ich will Euch einen Handel unterbreiten, Messire Dariole: meine Pferde für Euer Leben. Tretet beiseite, und ich werde Euch nicht töten.«
    Er zog die Mundwinkel zu einem Lächeln hoch, das Feuer und Eis zugleich durch meinen Körper jagte. Noch immer spürte ich das kalte Eisen seines Dolches an meinem Sack. Er sagte: »Ihr könnt mich nicht töten. Ich kann Euch töten. Oder ich kann Euch um Euren Schwanz betteln lassen … Das wäre doch lustig, oder? Ich frage mich, ob ich Euch zum Spritzen bringen könnte.«
    Ich weiß nicht, welche Vorstellung mir in diesem Augenblick die größte Pein bereitete: kastriert zu werden oder meinen Samen vor ihm zu vergießen.
    Die größte

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