1610 01 - Der letzte Alchimist
Ist er vielleicht auf das Gut von Maximilien de Bethune, Baron von Rosny , geritten?
Ich wusste, dass binnen der letzten drei Monate dreitausend Piken, Musketen und Harnische gen Osten geschickt worden waren, Kriegsvorbereitungen – ganz zu schweigen von den hundert Kanonen. Das Arsenal war so gut wie leer. Aber wie auch immer … ich glaubte nicht, dass der Mob ihn schon jetzt hängen würde. Was jedoch die Witwe des Königs betraf …
»Messire Rochefort!« Dariole grinste mich auf die typisch sorglose Art eines jungen Mannes an, und für einen Moment kam ich mir schrecklich alt vor. »Verlassen wir Paris nun oder nicht? Und wenn ja, wie?«
Sein Tonfall war provozierend, und an jedem anderen Tag hätte ich ohne zu zögern blankgezogen. Heute jedoch … Heute scherte es mich keinen Deut, mein zweites Pferd samt Zaumzeug zu verlieren, wenn das der Preis war, Monsieur Dariole endlich loszuwerden.
Aber das geht nicht!, erkannte ich.
Wenn ich ihn hätte zurücklassen können, um den Verdacht von mir abzulenken, hätte ich genau das getan. Messire ›Dariolet‹: Duellant, junger Edelmann, leidenschaftlicher Spieler – genau die Art von dummem, jungem Mann, dem man zutraute, an einer Verschwörung zur Ermordung des Königs beteiligt zu sein. Es war ein angenehmer Gedanke, sich Dariole im Folterkeller vorzustellen.
Doch genau das war der Grund, warum ich ihn nicht zurücklassen durfte. Er konnte mich mit dem Tod des Königs in Verbindung bringen und damit auch den Duc de Sully. Also durfte er nicht in Paris bleiben, wo man ihn hätte verhören können … und er durfte nicht überleben.
Im Norden und Westen von Paris gab es viele ruhige Straßen, auf denen ein junger Mann unglücklicherweise Opfer eines Raubmordes werden konnte.
An den Straßenecken standen Weinfässer, die eigentlich für die Feier zur Krönung der Königin am folgenden Tag gedacht waren. Die Hälfte von ihnen war aufgebrochen. Ich drängte mein Pferd zwischen betrunkenen, grölenden Männern hindurch, und Dariole folgte mir dichtauf.
Als ich kurz zwischen zwei Häusern etwas Ruhe hatte, nutzte ich die Gelegenheit, holte meine Wachstafeln heraus, schrieb etwas und klappte sie zu.
»Hier!« Ich gab die Wachstafeln und zwei Livre einem älteren Lehrling, der sich auf ein Fensterbrett gestellt hatte, um über die Menge schauen zu können. »Zum Duc des Sully im Arsenal. Sofort! Er wird dir noch zweimal so viel geben, wenn du sie ihm bringst.«
Er starrte mich verwirrt und zögernd an. Ich hatte keine Zeit, ihm mehr zu sagen. Der Druck der Menge ließ ein wenig nach und ich drängle mich durch die schreienden Menschen in Richtung Porte St Honoré.
Das Geschrei hallte von den Häuserwänden, Torbögen und Türmen wider. Über den Köpfen der Menschen waren Piken zu sehen. Savoyer und Schweizer Söldner, die man für den bevorstehenden Krieg in die Stadt geholt hatte, bewachten das Tor.
Das Fallgatter war noch immer oben.
Ich sah die Dornen aus dem Torbogen ragen. Bürger diskutierten mit den Wachen, wurden aber irgendwann durchgewunken. Die Stadt ist also nicht abgeriegelt – noch nicht.
Dariole deutete mit dem Kopf nach vorn auf Männer in Pluderhose und Kürass und mit schweren Musketen auf ihren Schultern. Sie marschierten unmittelbar vor das Tor. »Glaubt Ihr, da kommen wir durch? Möchtet Ihr darauf wetten?«
Ich bin Sullys Agent auf der Spur der Königsmörder. Ich reise inkognito, da es sich bei den Attentätern offenbar um gefährliche Männer handelt. Was wäre unauffälliger – zumindest für eine Stunde oder so?
Dariole lachte ein wenig zu laut für meinen Geschmack in einer Menge von Trauernden. »Wenn je ein Spion darüber nachgedacht hat, wie und wohin er sich verdrücken kann, dann Ihr.«
Inzwischen hatte ich mich wieder zusammengerissen, und um seine Feindseligkeit weiter zu schüren, schnappte ich: »Ich bin kein gewöhnlicher ›Spion‹! Ich der Agent meines Gönners, des Duc de Sully.«
»Wuff, wuff, Hündchen!«
Wenn es etwas gab, was meine feindselige Haltung ihm gegenüber ein wenig dämpfte, dann Folgendes: Ich hatte mir in der Tat schon öfter überlegt, wie ich Frankreich im Notfall verlassen könnte. Das katholische Spanien lag im Westen, während im Osten die fanatischen deutschen Protestanten warteten … Kein Wunder, dass die meisten Exilanten in den Niederlanden landeten, entweder am Hof des Erzherzogs (wenn sie den Spaniern gegenüber Sympathien hegten) oder in den Vereinten Provinzen. Mein Wunsch, ins
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