1610 01 - Der letzte Alchimist
mich angelogen habt. Der erste Mensch, dem ich auf der Straße begegne, wird mir das sagen können. Und wenn Ihr lügt, werde ich Euch an Ort und Stelle erschlagen.«
Staub schimmerte golden in der Luft; er hatte sich seit unserem würdelosen Kampf noch immer nicht ganz gelegt. Inzwischen vollkommen verwirrt wiederholte ich: »Beide Pferde?«
»Ihr verlasst Paris.« Dariole zuckte mit einer Schulter, mit der Seite, die nicht den Dolch hielt. »Ihr wollt weder heiße Eisen noch die Streckbank, oder dass man Euch für zehn Jahre im Chatelet wegsperrt. Und soll ich Euch etwas sagen, Messire Rochefort? Ich auch nicht.«
Ich öffnete den Mund, um zu protestieren. Plötzlich lachte der Junge und sah so freudig erregt aus, wie nur ein junger Mann aussehen kann.
»Ihr habt Heinrich umgebracht, oder zumindest wisst Ihr, wer dafür verantwortlich ist. Ihr würdet die Stadt nicht verlassen, wenn Ihr nicht selbst tief in der Angelegenheit stecken würdet. Und jetzt stehe ich in Verbindung zu Euch. Hundert Leute können gesehen haben, wie ich in diesen Stall gegangen bin! Wie es aussieht, war es doch kein Glück, dass ich Euch heute Morgen gefunden habe …«
Dies war einer der wenigen Momente in meinem Leben, da ich einfach nur starren konnte. Darioles Grinsen wurde immer breiter. Erneut berührte er mein Fleisch mit seinem kalten Stahl, dann zog er den Dolch zurück.
»Sattelt jetzt die Pferde, Messire. Und beeilt Euch. Wir werden hinausreiten, und ich werde sehen, ob Ihr die Wahrheit gesagt habt und es wirklich ein Attentat gegeben hat. Und falls ja und Ihr Paris verlasst … dann werde ich mit Euch kommen.«
Rochefort: Memoiren
Vier
Sein Dolch hatte mich leicht im Augenwinkel verletzt. Ein Blutstropfen rann mir übers Gesicht. Ich wischte ihn ab, während ich die Andalusierstute vom Hof führte.
Durch die Porte St Honoré, dann nach Westen und nördlich um Paris herum, dachte ich. Anschließend in die Normandie und dort ein Schiff nach England nehmen. Bei jedem Halt könnte ich einen Brief an den Herzog schreiben und mit einem Kurier zu ihm schicken, um ihn vor dem Verräter in seinem Haus zu warnen.
Der Junge stieg auf meinen leicht wiederzuerkennenden Falben und das in einer Entfernung zu mir, aus der ich ihn nicht ohne Vorwarnung angreifen konnte. Von irgendwoher aus der Scheune hatte er einen kurzen, modischen Mantel geholt sowie einen breitkrempigen, hohen Hut. Nun saß er mit leuchtenden Augen in meinem zweitbesten Sattel, der typische junge Sohn einer Adelsfamilie.
Der Hengst stellte ihn auf die Probe, und der Junge kam spielend damit zurecht. Er grinste. »Ich könnte einfach herumposaunen, dass Ihr verantwortlich seid. Das müsste noch nicht einmal wahr sein. Sie würden Euch einfach so aufknüpfen.«
Die Hufe des Andalusiers schlugen Funken vor mir, als Dariole mit den Fingern schnippte. Ein Dutzend Bewaffnete strömten an uns vorbei und wedelten mit Schwertern und Pistolen. Es waren weder Straßenschläger noch Büttel oder Gardisten. Es waren die Väter und Söhne des Adels. Heinrichs Tod hat Leben zerstört, alles in einer Sekunde – wie ein Hammer, der aus großer Höhe auf Glas fällt.
»Es wäre bestimmt nett, Euch hängen zu sehen, Messire Rochefort. Es heißt, Aufgehangene spritzen. Dann würdet Ihr die Beule in Eurer Hose vielleicht wieder los.«
Ich versuchte, die Ereignisse der letzten halben Stunde aus meinem Geist zu verdrängen.
Ich ritt, als wäre so etwas nie geschehen – als könnte so etwas nie geschehen – und bahnte mir einen Weg durch die überfüllten Pariser Straßen zur Pont Neuf.
Königliche Gardisten säumten das Brückengeländer.
Ich lenkte die Stute zur Seite. Der Gestank der Seine war stärker in meiner Nase als der Geruch des Leders und des schwitzenden Pferdes. Menschen drängten gegen unsere Pferde. Ab hier war es unmöglich, mir den Weg zu erzwingen. Es waren bereits die ersten Leute zu sehen, die sich nur noch benommen von der Masse tragen ließen. Ich blickte über ein Meer von Hüten und Hauben zurück. Richtung Osten würden wir auch nicht leichter vorankommen.
»Nun. Wohin gehen wir?«
Ich ignorierte den Jungen. Einen Augenblick lang war ich zwischen dem Wissen hin und her gerissen, davoneilen zu müssen, und dem Verlangen, wissen zu wollen, was gerade im Arsenal vor sich ging, wo ich eigentlich hätte sein sollen. Ist der Herzog noch dort, oder sitzt er bereits im Gefängnis? Ist er vielleicht in den Palast gegangen, oder hat er anderswo Zuflucht gesucht?
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