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1610 01 - Der letzte Alchimist

1610 01 - Der letzte Alchimist

Titel: 1610 01 - Der letzte Alchimist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Gentle
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würde man es mir aufzwingen, würde ich alles seiner Jugend zuschreiben und es entschuldigen. Auf dem Schlachtfeld war er den Göttern gleich; doch bei Hofe, inmitten all der Intrigen, vermochte er nicht zu glänzen. Angewidert wandte er sich davon ab und verbrachte mehr Zeit mit Frauen. Manchmal spielte er auch die ganze Nacht hindurch und trank einen Krug Sake nach dem anderen.
    So kam der Tod zur rechten Zeit zu ihm – wohlgemerkt starb er an einer Krankheit und nicht durch Verrat, sodass er keine Schande fürchten musste. Wir begruben ihn, als das Laub von den Bäumen fiel. Ich trat in die Dienste seines Vetters, des neuen Herrn der Provinz Chikuzen. So blieb es für sechs, sieben Jahre.
    Unter dem Vetter meines Herrn war ich ein Hauptmann der ashigaru und nicht länger der Gefährte meines Fürsten. Und das war gut so, sagte ich mir selbst des Nachts. Welcher Fürst will schon einen alten Mann zum Gefährten, wenn dieser Mann weder sonderlich weise, fähig noch fromm ist? Da ich mich meinem fünfzigsten Lebensjahr näherte, durfte ich damit rechnen, als Hauptmann der ashigaru abgelöst zu werden. Ich hoffte darauf, mich auf einen kleinen Bauernhof zurückziehen zu dürfen mit genügend Dienern, um die Arbeit zu erledigen, während ich meine Tage damit verbringe, sie zu beaufsichtigen.
    In solchen Nächten patrouillierte ich im Haus meines Herrn – ich würde es nie als das Haus seines Vetters sehen. Langsam ging ich über das Gelände, überprüfte die Wachposten zu den unterschiedlichsten Zeiten und verdiente mir so das keineswegs boshafte Missfallen, aber auch den Respekt der Männer. Auch pflegte ich durch den Steingarten zu wandern und das Mondlicht auf den Mustern zu betrachten sowie das Moos und die Bäume zu riechen, die ihn begrenzten. Irgendwann fand ich mich dann immer auf einem der sanften Hügel von Chikuzen wieder und blickte nach Norden aufs Meer hinaus, während die Sonne sich aus dem unbekannten Osten erhob.
    Sicher werdet Ihr sagen, so etwas ist dumm für einen Samurai, und ich stimme Euch da durchaus zu. Meine Finger waren nie geschickt genug, um Farben aufs Papier zu bringen, und meine Poesie – falls ich mich denn daran versuchte – hatte nicht den Hauch der Feinheit, welche die Meister auszeichnet. Ich erlangte eine gewisse Befriedigung, wenn ich die Rüstung auszog und mit dem Schwert übte, dort im heller werdenden Licht, wo ich das Nahen des Tages mit der einzigen Fähigkeit feierte, über die ich verfüge.
    Ob es dieser Beweis meiner Individualität war, die den Vetter meines Herrn dazu bewegte, mich auszuwählen, weiß ich nicht. Er rief mich zu sich, befahl mich mit einem kleinen Trupp Soldaten nach Edo und wies mich an, seinem Sohn in der Hauptstadt zu gehorchen wie ihm selbst. Das war ein unnötiger Affront, doch nicht schwerwiegend genug, dass ich dem Mann den Kopf abgeschlagen hätte. Er war meinen eigenen Tod nicht wert.
    In Edo wies man mir einen Platz bei dem Sohn des Mannes zu: Wir sollten auf ein Schiff gehen und ins Land der fremden Barbaren segeln. Er sollte als Gesandter dienen. Sie waren schon so oft zu uns gekommen – Kaufleute und Priester größtenteils –, und nun sollten wir zu ihnen gehen.
    Als wir an Bord gingen, blickte ich aufs Meer, und ich fragte mich, ob ich an jenem Morgen, da ich an die Küste gegangen war, auf mein Grab hinausgeschaut hatte.
    Es tat mir nicht Leid, Nihon zu verlassen. Mein toter Herr Kobayakawa Hideaki ruhte in Frieden; ich hatte keinerlei Verpflichtungen mehr hier. Sein Nachfolger war unwürdig. Ich wollte mich nicht als ihm verpflichtet betrachten. Und der Sohn des Mannes verfügte über überhaupt keine Qualitäten: Er war weder tapfer noch feige, weder hitzköpfig noch weise, weder entschlossen noch vorsichtig. Wenn ich einen Mann verachte, dann den Zögerlichen, der seine Meinung ändert und sich dabei wie eine Fahne nach dem Wind dreht. Solche Männer – auch wenn man sie daimyo nennt – haben nicht das Recht, die Treue ehrbarer Samurai zu verlangen.
    Von der ersten Stunde an, da wir die Segel setzten und den Hafen verließen, bescherte mir die See eine schwere Krankheit.
    Daher kann ich mich nur an wenig aus den ersten Wochen erinnern. Als ich mich schließlich wieder erholt hatte, hatten wir uns mit einem holländischen Schiff getroffen und gingen längsseits, um Nachrichten auszutauschen – so hieß es unter anderem, in Nihon könne man immer weniger Handel treiben, da man bei uns mehr und mehr auf diejenigen höre, die

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