1610 01 - Der letzte Alchimist
Hinsicht, nur nicht in Wahrheit war sie noch immer ein junger Mann. Tanaka Saburo strahlte trotz seiner nassen, verdreckten Kleider eine enorme Würde aus. Der Seewind ließ ihn zittern.
»Was den Rest betrifft …«, fuhr ich fort, »und ich halte Euch beide für weitgehend mittellos, sodass es keinen Unterschied macht … Die Agenten der Königin werden schon bald gewarnt werden, dass hier etwas schief gelaufen ist. Deshalb kann ich nicht warten, bis das Schiff mit der Flut hereinkommt. Ich muss jetzt zu ihm hinausrudern. Deshalb kann ich auch das Pferd nicht mitnehmen. Es ist ein verdammt gutes Pferd und sein Geld wert, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht.«
Obwohl kein Mann in dieser Stadt es sich wirklich leisten könnte.
Es hatte mich keinerlei Überwindung gekostet, mein Quartier in Paris zu verlassen. Die stichelhaarige Stute jedoch … Abgesehen davon, dass sie nicht sprechen konnte, war sie mir ein besserer Diener als Gabriel Santon gewesen. Und jetzt überlasse ich beide ihrem Schicksal.
»Ich kann keine Zeugen zurücklassen«, fügte ich hinzu. »Betrachtet Eure Passage nach London als bezahlt.«
Der Nihonese verneigte sich tief. »Ich schulde Euch giri.«
»›Bezahlt‹?« Dariole wischte sich das kurze Haar aus dem Gesicht und versuchte, das Wams wieder zurechtzuzupfen. Duellanten legen stets viel Wert auf ihre äußere Erscheinung. Sie verzog das Gesicht. »Das werde ich Euch zurückzahlen. Glaubt ja nicht, dass ich das nicht tun werde. Karten oder Würfel, oder besser noch … Ich werde Euch auf der Reise bezahlen! Dann wird Euer Schuldschein meine Überfahrt bezahlen!«
Sie sprang davon.
Neben mir sagte der Samurai taktvoll: »Sie ist nicht Euer Schwertmeister. Und auch nicht Eure Herrin?«
»Keins von beidem.«
»Und Ihr seid nicht Ihr Herr.« Er seufzte, wie ich es nun schon öfter bei ihm gehört hatte, wenn er eine direkte Frage stellen wollte – fast als wolle er sie nicht stellen. »Und was ist sie dann, Roshfu-san?«
»Ein Teufel!« Ich fletschte die Zähne.
»Ah.« Er nickte zweimal. »In meinem Land haben wir einen kamt, einen Geist, der die Männer verhext. Sie heißt Kitsune, der Fuchsgeist. Männer sterben an ihrer Besessenheit. Meist sterben sie, wenn sie sie verlässt.«
Ich hielt es für vernünftig zu fragen: »Glaubt Ihr an Geister, Messire?«
»Ein Mann kann verzaubert werden. Ich habe das selbst schon gesehen.« Er zuckte mit den Schultern. »Die Priester der Schwarzen Krähe sagen, Dinge wie Kitsune seien nur heidnische Legenden. Seid Ihr einer ihrer Anhänger?«
»Der ›Schwarzen Krähe‹?«
»Der Spanier.« Er blickte zu mir hinauf. »Ihr habt ihr Gesicht. Dunkel. Sie predigen in meinem Land von ihrem hingerichteten Gott. Christus.«
Es dauerte ein, zwei Augenblicke, bis ich ihn mit seiner seltsamen Aussprache verstanden hatte.
»Ich glaube nicht, dass Ihr Euch über meine Beziehungen zur Mutter Kirche sorgen müsst«, murmelte ich.
»Hai.« Er nickte in Richtung Dariole, die leidenschaftlich Kiesel in die Wellen warf, anstatt die Börsen der Toten zu leeren. »Sie ist Euer Fuchsgeist, nicht wahr?«
»Sie ist ein Kind!«
Das war nicht wirklich wahr: Frauen heirateten schon in weit jüngerem Alter.
»Wie habt Ihr …« Ich hielt kurz inne und formulierte es neu. »Ist das so offensichtlich? Für Euch? Dass sie unter ihrer Hose eine Frau ist, und dass ich …«
»Kein Mann ist so wütend auf eine Frau, ohne sie zu töten, es sei denn, sein inkei hat das Denken für ihn übernommen. Was sie betrifft seid Ihr jenseits der Vernunft. Wenn ich das Wort richtig von den Priestern gelernt habe, seid Ihr ›in Passion‹.«
Bis jetzt hatte ich eigentlich nie eine Verbindung zwischen der Passion eines Mannes und einer Frau im Bett und der Passion des blutenden Christus gesehen.
Das unnatürliche Gesicht des Fremden dämpfte meine Wut ob seines kühnen Kommentars, fast als wäre er wirklich der Dämon, als den Dariole ihn sah.
»Ein gut gewähltes Wort … ›Passion‹«, sagte ich grimmig. »Ebenso wie ›Sklave‹. Aber jetzt wollen wir die Angelegenheit auf sich beruhen lassen, Messire Saburo, zumal wir nie darüber gesprochen hätten, wären die Umstände nicht so außergewöhnlich.«
Die Stute knabberte an meiner Schulter und schnaufte, wie es typisch für ein Pferd in der Nähe des Menschen ist, dem es vertraut. Instinktiv rieb ich ihr die Nüstern. Sie versetzte mir einen leichten Stups, nur ein Hauch der Kraft, die sich in ihren Muskeln
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