1610 01 - Der letzte Alchimist
hatte, konnte er dem Einfluss der beiden entgegenwirken, doch nun … Frankreich wurde von Maria di Medici geführt und sie wiederum von ihren Favoriten. Gütiger Gott!
Vielleicht würde ich selbst sie töten. Oder ich suche mir einen zweiten Ravaillac, dachte ich grimmig. Das wäre amüsant.
Ich trank das Bier, blickte über die Dächer von Southwark hinweg und wünschte mir, ich wäre im Arsenal oder zumindest in Les Halles.
Der beste und einzige Weg ist Ehrlichkeit.
Das ließ mich lächeln.
Doch es war in der Tat so. Falls der Duc de Sully sich auch nur einen Bruchteil seiner Macht hatte bewahren können und falls ich ihn vor der Gefahr in seinem Haushalt retten konnte, dann … ja dann sah ich voraus, dass er und ich Maria für ihr Verbrechen anklagen würden mit mir als Kronzeugen. Wem sonst würde man glauben, wenn nicht Heinrichs unbestechlichem Sully? Jeder Mann bei Hofe folgt seinen eigenen Interessen, doch nicht Sully. Jedermann weiß, dass er sich nur um sein Land und seinen König sorgt.
Und ich musste ihm beichten, dass ich für Heinrichs Tod verantwortlich war, dass ich mich entschieden hatte, statt sein Leben das des Königs zu gefährden. Das alles musste ich gestehen und mich seinem Zorn stellen und das nur wegen meiner eigenen, riesigen Dummheit. Sein Hass für mein Versagen, mein katastrophales Versagen.
Ich schwitzte. Ich habe versagt, aber ich kann es vielleicht noch in Ordnung bringen.
Das ist der wahre Weg, der beste Weg und wahrscheinlich auch der einzige. Wenn Sully die Anklage führt, werden die Menschen ihm glauben. Das Parlament wird der Königin die Regentschaft nehmen und Messire de Sully vielleicht sogar zum neuen Regenten ernennen …
Die Medici weiß das. Sollte Sully nicht schon all seine Macht verloren haben, würde sie ihn töten lassen, sobald sie Gelegenheit dazu hatte, ohne Verdacht zu erregen. Nicht in ein paar Tagen, aber auch nicht erst in ein paar Monaten. Es war nur eine Frage von Wochen.
Und es ist sicher, dass es so weit kommt.
» Merde !« Ich warf den Krug gegen die Wand und dellte damit sowohl das Zinn als auch den Putz ein. Zu wissen, wie sehr sie sich seinen und meinen Tod wünscht, und nicht zu wissen, wie die Dinge daheim im Augenblick stehen …!
Und als ich gerade geglaubt hatte, allen Verfolgern entwischt und endlich erfolgreich untergetaucht zu sein, kommt dieser Doktor und Prophet namens Fludd, den irgendjemand ziemlich gut informiert hat. Wunderbar, wirklich ganz wunderbar.
Wer weiß, dass ich in England bin? Wer weiß, dass ich Cosse Brissac heiße? Wer weiß sonst noch, dass ich der Mann bin, der Heinrichs Tod verschuldet hat?
Ich setzte mich an den Tisch und zählte ein paar Extramünzen für den Schaden an der Wand ab.
Trotz meines Entsetzen über die Worte des verrückten Fludd, dachte ich, gab es eine vernünftige Schlussfolgerung, zu der ich kommen konnte.
Was auch immer ich tun mochte, ich durfte es nicht in demselben Land tun, indem auch dieser wahnsinnige Astrologe lebte, der viel zu viel von mir wusste.
Von der Puffmutter kaufte ich den Seesack eines Matrosen und – es überraschte mich sehr, einen zu finden – einen kompletten Anzug aus Wams und Hose, der sogar groß genug für mich war. Der Vorbesitzer war zwar ein wenig dicker gewesen als ich, aber man konnte die Sachen leicht passend machen. Der Stoff war maulbeerfarbene Wolle, nichts, was unnötig Aufmerksamkeit erregt hätte. Fludds Börse beglich die Rechnung.
Ich veränderte mein Aussehen weiter, indem ich mich erst einmal badete und dann rasierte, bis nur noch ein schmaler Schnurr- und ein kleiner Spitzbart übrig waren, und schließlieh ließ ich mein Haar lang über die Schulter fallen. Dann setzte ich noch einen flachen, aber breitkrempigen Hut auf, nachdem ich den Stahlring aus meiner alten in die neue Kopfbedeckung geschoben hatte. So sehe ich wohl ausreichend anders aus als der unrasierte Flegel, den man aus Robert Fludds Haus gescheucht hat. Das müsste genügen , um selbst den Blicken aufmerksamer Beobachter standzuhalten.
Für einen englischen Schilling und einen englischen Sixpence würde ich ein Postpferd nach Rochester mieten können, was ein schöner, kleiner Hafen ist, der wohl nicht so aufmerksam beobachtet wird wie London oder Dover. Von meinem Besuch vor sechs Jahren erinnerte ich mich jedoch daran, dass die Einwohner von Rochester Franzosen gegenüber nicht gerade freundlich gesonnen waren. Damals hatten die englischen Soldaten sogar die Haustüren
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