1610 02 - Kinder des Hermes
wieder ein ordentlicher Bart gewachsen war. Der Gestank von Eastcheap stieg um mich herum auf.
Es ist zwar noch etwas früh, um darüber nachzudenken, aber tun wir es einfach: Was sollen wir tun, wenn wir Fludd gefunden haben?
Dann, dachte ich, dann werden Mademoiselle und ich uns erst einmal streiten.
Das Pferd wurde langsamer, als ich mich nicht mehr aufs Reiten konzentrierte. Ich blickte zum Fluss, und der Wind zerzauste mein Haar, sodass ich eine lange Strähne aus meinem Gesicht streichen musste.
Und es könnte durchaus so weit kommen, dass ich mich zwischen Mademoiselle Dariole und Messire de Sully werde entscheiden müssen.
Rochefort: Memoiren
Fünfunddreißig
Im Tower angekommen warf ich einem Diener die Zügel zu und ging über das Gras innerhalb der gewaltigen Mauern. Die schlechte Laune versuchte ich abzustreifen.
Außerdem, sinnierte ich, besteht durchaus die Möglichkeit, dass ich bei den Kämpfen um den Whitehall-Palast getötet werde. Und dann ist da noch die Frage, ob der Versuch, James wieder auf den Thron zu setzen, wirklich den großen Bürgerkrieg auslösen wird, von dem Caterina gesprochen hat. Aber wie auch immer, bin ich erst einmal tot, sind all meine Probleme gelöst …
Inzwischen hatte man innerhalb der Mauern ein ausgedehntes Zeltlager errichtet. Rauch stieg von Lagerfeuern auf, und die Männer klangen gutgelaunt. Hier und da nickte man mir freundlich zu; offenbar hatten Ned Alleyne und seine Schauspieler meinen Namen verbreitet.
Das ließ mich lächeln, wenn auch ein wenig grimmig. Jetzt hat König James also nicht nur einen ›Dämon‹ aus Nihon, dachte ich, sondern auch noch einen persönlichen ›Franzmann‹. Ich frage mich, ob sein Ruf das überleben wird.
»Sagt mir bloß nicht Bescheid, wenn Ihr irgendwo hingeht, nein, nein«, beschwerte sich eine Stimme. Ich drehte mich um und sah Mademoiselle Dariole auf mich zukommen.
»Nichts?«
»Nichts«, grunzte sie. »Northumberland und Raleigh haben bei ihrem Aufbruch alles mitgenommen.«
Ihr Blick ging an mir vorbei in Richtung Torturm. Ich hörte Rufe aus dem Torhaus.
»Hey! Saburo ist wieder zurück!«
Da es sinnlos war, ihn zu befragen, während er sich einen Weg durch die Menge bahnte, drehte ich mich um und ging zu James' Quartier im Weißen Turm.
Dariole holte mich ein, als ich das Treppenhaus verließ, und reihte sich neben mir ein, als ich mich vor James verneigte. »Er ist nicht da! Saburo sagt, sie hätten ihn nicht! Messire, wenn er nicht bei Prinz Heinrich ist, besteht nicht die geringste Hoffnung, Fludd zu finden!«
»Sie könnten lügen …« Ich trat beiseite, als ein Dutzend Milizionäre – die voller Enthusiasmus, aber nicht gerade effizient Wachdienst schoben – Saburo zum König führten.
»Ja, das könnten sie wohl.«
Jenseits der Schießscharten, die auf der Ostseite des Towers als Fenster dienten, schimmerten der Fluss und das Londoner Hafenbecken. Von den Schiffen war nun nichts mehr zu sehen, von denen Monsieur Saburo so sehr geschwärmt hatte, als er beim letzten Mal darauf gewartet hatte, erneut eine Nachricht von James nach Whitehall zu bringen. Der Weiße Turm ist so hoch, dass man in Richtung Westen über Tausende von Dächern hinwegblicken kann; lediglich St Paul's war so hoch, dass sie die Sicht versperrte.
Flussabwärts bog die Themse hinter der London Bridge nach Osten ab, und irgendwo flussaufwärts, im Westen, lagen die Türme des Whitehall-Palastes und der Westminster Abbey.
»Und ich sage immer noch, dass Fludd es weiß.« Dariole senkte die Stimme, als sie sich aus den ›Höflingen‹ löste und zu mir ans Fenster trat. Ohne ihr Schwert und ihre Samtkappe sah sie noch mehr wie ein heranwachsender Jüngling aus. »Soweit wir wissen, tun wir noch immer genau das, was er will.«
Ein wenig spöttisch erwiderte ich: »König James wieder auf den Thron setzen?«
»Vielleicht wird James auf diese Art sterben. Vielleicht diente das Maskenspiel in Wookey nur dazu, uns an diesen Punkt zu bringen. Wir Ihr Euch vielleicht erinnert, hat Fludd gesagt, dass Ihr den Schlag führen werdet. Vielleicht ist es ihm so ja auch gelungen, Heinrich zu dem Mordversuch an seinem Vater zu überreden. Vielleicht wusste Heinrich ja, dass er ihn noch nicht einmal verletzen würde – das würdet Ihr später für ihn tun.«
»Oder er hat gelogen«, widersprach ich. »Nur weil jemand die Zukunft vorhersagen kann, heißt das noch lange nicht, dass er auch stets die Wahrheit sagt! Oder vielleicht haben Eure
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