1610 02 - Kinder des Hermes
lächelte sie an.
»Man hat mich angewiesen, mir ein Quartier im Martinsturm zu suchen, wo Sieur Northumberland noch gestern angewohnt hat. Monsieur der König ist nämlich recht stur; er ist fest davon überzeugt, dass sich dort noch Reste von Magie finden lassen.«
Dariole schaute mich zynisch an. »Oder etwas, das Euch sagen wird, wo Robert Fludd sich befindet.«
»In Westminster mit ›König‹ Heinrichs Musketieren und Pikenieren. Wenn er seine Arztgewänder trägt, dann würde ich mich an seiner Stelle jedenfalls dort aufhalten«, erwiderte ich offen, »bei meinem einzigen Verbündeten. Aber wollt Ihr jetzt nicht mit mir kommen und mir helfen?«
Ich ertappte mich dabei, wie ich Dariole vor dem Hintergrund der von der Sonne beschienen Menschenmenge betrachtete. Ihre Augen wanderten ständig umher. Vielleicht wird sie John ja finden, dachte ich. Einen Mann zu töten, der ihr großes Leid zugefügt hat, würde ihr im Augenblick wirklich helfen.
»Er weiß es.«
In meinen Gedanken versunken schaute ich sie nur verwirrt an.
»Fludd. Ich glaube, er weiß es immer noch. Er weiß, was wir tun und was wir tun werden. Ich glaube nicht, dass wir uns seinen Zaubern schon entzogen haben.«
»Ihr denkt also, wir sind noch nicht willkürlich und irrational genug, ja?«
Sie hob die Augenbrauen. »Das habe ich nicht gesagt, Messire …«
Ich konnte nicht anders, als lauthals aufzulachen. Ob nur unsere Differenzen vielleicht doch noch überwinden können?, dachte ich.
»Ich will … Ich will Euch etwas zeigen, Messire.« Sie ging mit mir nach Norden.
Ich musste mich nicht durch die Menge drängen. Sie machte vor uns einen Weg frei und schloss ihn hinter uns wieder, begierig darauf, jeden noch so kleinen Raum in diesen Mauern zu füllen und ihrem König zuzujubeln.
Die einfachen, uralten Mauern des Martinsturms fingen das Sonnenlicht auf, und irgendetwas glitzerte hoch oben. Dariole schaute zum Wehrgang hinauf und wandte sich dann rasch wieder ab. »Dort bin ich entlang gegangen, als ich Arbella getroffen habe.«
»Mademoiselle …«
Sie beschleunigte ihren Schritt in Richtung der mächtigen Tür am Fuß des Turms. Ich folgte ihr hindurch und die Treppe hinauf. Die Sonne blendete mich, als ich aus der Dunkelheit des Treppenhauses auf den Wehrgang trat.
Ich beschattete meine Augen und sagte: »Mademoiselle, freut es Euch, Euch vorzustellen, dass Robert Fludd alles vorauszusehen vermag, sodass man ihn nicht gefangen nehmen wird … und wir beide ihn nicht bekommen?«
Dariole legte den Kopf zurück, beschattete ebenfalls ihr Gesicht und schaute den Turm hinauf. Ich konnte ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen. »Könnt Ihr das sehen?«, fragte sie.
Ich kniff die Augen zusammen und entdeckte, worauf sie deutete. Es war das Ziffernblatt einer ins Mauerwerk eingelassenen Sonnenuhr. Der Gnomon zeigte drei Uhr.
Eingraviert in die Bronze, welche des Ziffernblatt umgab, sah ich auf der einen Seite ein Stundenglas mit Flügeln und auf der anderen einen Skorpion, der sich auf seinem Schwanz aufrichtete. Ich sah keine lateinische Inschrift, doch ich dachte bei mir, sie müsse › tempus fugit ‹ lauten.
»Er hat mir erzählt, dass Thomas Hariot sie für ihn gemacht hat … Der Earl, meine ich.« Dariole senkte den Kopf wieder und schaute mich an. »Dorthin hat er mich bringen lassen, als ich auf Lady Arbella getroffen bin.«
Ich blickte nach links und rechts. Runter in den stinkenden Graben, oder runter auf das harte Hofpflaster: in beiden Fällen wäre man tot.
»Für eine verzweifelte Frau wäre es nur ein kleiner Schritt gewesen, und doch … Ihr habt ihn nicht getan.«
Dariole schüttelte den Kopf und ging wieder zur Tür. Wir durchsuchten die wenigen Sachen, die der Earl of Northumberland zurückgelassen hatte, fanden aber nichts. Mademoiselle Dariole verabschiedete sich von mir, als Monsieur Saburo zum ersten Mal wieder zurückkehrte, um mit dem König darüber zu sprechen, wie der Sohn auf die Rückkehr des Vaters reagiert hatte. Ich besorgte mir ein Pferd und ritt kurz aus dem Tower in die Knightrider Street, um nachzusehen, ob Fludd in seinem Haus vielleicht irgendwelche Spuren hinterlassen hatte; doch wie nicht anders zu erwarten, war das nicht der Fall.
Die Pest fegt die Straßen tatsächlich leer, dachte ich. Die Abendsonne neigte sich dem Horizont zu, und die Spiegelbilder der Häuser tanzten auf dem Fluss. Ich ritt wieder zum Tower zurück. Die warme Sommerluft wehte mir ins Gesicht, wo mir allmählich
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