1610 02 - Kinder des Hermes
Eichentor zum Garten stand offen. Das Gras war niedergetrampelt worden – ich nahm an, dass in den vergangenen Tagen noch mehr Plünderer das Haus heimgesucht hatten –, doch die Sonnenuhr stand wieder auf ihrem Sockel.
Darioles haselnussbraunes Pferd war nirgends zu sehen, und die grimmig dreinblickenden Soldaten sahen nicht so aus, als hätten sie vor kurzem erst gekämpft.
»Sie ist noch nicht hier.«
»Hai.« Saburo grunzte und ging, um Cecils Musketieren ein paar Fragen zu stellen. Ich führte mein Pferd in den ziegelummauerten Garten und band die Zügel an der Sonnenuhr fest.
Robert Fludd.
Der Schatten des Gnomons ließ mich wissen, dass es noch nicht ganz zwölf Uhr mittags war. Me umbra regit vos lumen .
Ich schüttelte den Kopf. Nein, wir wurden beide vom Schatten beherrscht. Man musste sich nur einmal ansehen, was wir taten.
Der Samurai kam mit zwei Offizieren. Ich ging durch die Küchentür in das geplünderte Haus voraus. Die Räume rochen nach Asche und Urin.
Sechs weitere Musketiere befanden sich oben, wo sie Robert Fludd festhielten. Zuerst konnte ich ihn nicht sehen. Die Soldaten standen auf. Sie wirkten verlottert. Wäre ich ihr Offizier gewesen, ich hätte sie diszipliniert. Dann sah ich einen Mann auf einem Hocker am kalten Kamin.
»Habt Ihr etwa damit gerechnet, unerkannt zu entkommen?«, fragte ich.
Robert Fludd hob den Blick. Sein Haar war kurzgeschoren, die Farbe irgendetwas zwischen weiß und grau, und ich sah, dass er sich den Bart abgenommen hatte. Rasiert sah er nicht so viel anders aus, als man hätte erwarten können.
Ich lehnte mich an den Kamin, der in einem Stil verputzt war, wie er der englischen Mode vor einhundert Jahren entsprach. »Soll das Eure Verkleidung sein?«
Er schwieg. Er trug den Mantel eines Landmannes, kein Wams, an vier, fünf Stellen geschnürt anstatt geknöpft, und eine unförmige Hose aus rotbraunem Stoff, dazu ein Paar Holzschuhe. Hätte die Verkleidung funktioniert, hätte man ihn für einen Wanderarbeiter aus Kent oder Surrey halten können, der sich auf dem Weg zurück dorthin befand. Im Augenblick schien er sich jedoch vor allem unbehaglich zu fühlen.
»Wo ist der König?«, fragte Fludd schließlich mit dünner Stimme.
»Ich nehme an, er beschließt gerade, Euch in den Tower zu werfen.«
»Nein.« Fludd verzog ungeduldig das Gesicht. »Der König. Wo ist Heinrich?«
Ich hob die Augenbrauen. Ein Soldat lachte.
»Es gibt keinen verdammten König Heinrich«, sagte einer der anderen Soldaten.
Ein weiterer Mann murmelte: »Und ich sage, in ein paar Jahren wird es ihn geben, nachdem sein alter Vater ihm vergeben hat.«
Das Lachen im Raum klang zynisch, war aber nicht gänzlich unfreundlich. Ich frage mich, dachte ich, ob James weiß, dass die Leute verstehen, dass Heinrich, was auch immer da kommen mag, sein Sohn ist und bleibt.
Fludd zeigt ein beneidenswertes Maß an Loyalität.
Was James zu ihm sagen mag, ändert auch nichts daran … aber um das anschließende Verhör durch Robert Cecil beneide ich ihn sicherlich nicht.
Es wäre mir eine Freude gewesen, Fludd zu berichten, wer ihn verraten hatte. Ich verkniff mir dieses Vergnügen jedoch. Stattdessen trat ich an das Fenster, von wo aus ich die Straße überblicken konnte, und schaute nach unten. Eine Hand voll Einwohner von Southwark versammelte sich vor dem gegenüberliegenden Gebäude. Ich sah keine Spur von Dariole.
Gut … Das ist keine Begegnung, der ich mit Freuden entgegen blicke.
Lärm erregte meine Aufmerksamkeit. Ich öffnete das Fenster und lehnte mich hinaus. Eine Kutsche mit Cecils Wappen rumpelte die Straße entlang.
»Warum seid Ihr hier?«, verlangte Fludds Stimme hinter mir zu wissen.
»Wollt Ihr damit etwa sagen, dass Ihr es nicht bereits wisst?«
Ich drehte mich um. Fludd war kreideweiß.
Diese Befriedigung gönnte ich mir.
Mit einem weiteren Blick auf die Straße hinaus sagte ich nachdenklich: »Ich bin gekommen, um Euch das Leben zu retten. Aber sollte das dort Lord Salisbury sein, bin ich vermutlich nicht vonnöten.«
Auf dem Gesicht des Doktors und Astrologen zeigte sich Verwirrung. Auch wenn es ein wenig armselig war, genoss ich den Anblick eines Robert Fludd, der nicht wusste, woran er war.
»Wie – kein vorhergesagtes Duell, Monsieur le Docteur?«, erkundigte ich mich. »Kein gewahrsagter Mord?«
Fludd warf mir einen derart elenden Blick zu, dass ein Mann mit freundlichem Herzen hätte glauben können, er sei krank.
Solch ein Mann bin ich jedoch
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