1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist
geführt hat, dachte ich und stählte mich, um weiter gleichmütig auszusehen.
»Natürlich«, fügte der dünne Mann hinzu, »ist es unter einer Regentschaft schwerer und eine Rebellion wahrscheinlicher. Und Euer neuer König ist erst neun Jahre alt. Ihr und Eure Landsleute müsst euch große Sorgen machen, Monsieur Rochefort.«
Und Cecil weiß genau, dass ich sein Mitgefühl als falsch durchschaue. Ich biss mir auf die Lippe. Wenn große Männer den Entschlossenen spielen, ist es immer dumm, auf gleiche Art zu antworten. Ich nahm an, dass es Minister Cecil wohl kaum gefallen würde, sollte ich mit Protest auf das reagieren, was er als seinen Erfolg und Sullys Versagen betrachtete.
Natürlich war er nicht daran interessiert, welche Wirkung seine Worte auf einen Monsieur Rochefort hatten, aber ich bot eine gute Möglichkeit, sie an Messire de Sully weiterzugeben.
»Und jetzt gestattet mir bitte, Euch ein paar Fragen zu stellen.« Cecil beugte sich vor. »Sagt mir, was Ihr von König Heinrichs Tod gesehen habt.«
Ich hatte das Gefühl, als würde mir die Luft aus den Lungen gedrückt, obwohl ich darauf hätte wetten können, dass Cecil mir genau diese Frage stellen würde. Er wird Augenzeugenberichte und Gerüchte über mich gehört haben. Seine kleinen schwarzen Augen schauten mich listig an.
Wenn ein Mann die Wahrheit sagt, liegt etwas in seiner Stimme, das ein erfahrener Mann oftmals heraushören kann. Eine besonnene Mischung von Wahrheiten unter Auslassung einiger Fakten ist alles, was ich hier riskieren darf. Ich wagte es nicht, eine Auslassung durch eine Lüge zu kaschieren. Dafür hatte Mylord Cecil seine Stellung schon zu lange inne.
»Ich war in der Tat zugegen, Mylord. Es ist meine Aufgabe, Männer wie Ravaillac zu beobachten, wie Ihr sicherlich wisst.« Unverwandt blickte ich ihm in die Augen. »François Ravaillac ist … war ein Mann aus Angoulême, ein Schulmeister und Mönch. Aus dem Kloster hat man ihn jedoch ausgeschlossen, weil er unter Visionen gelitten hat.«
»Sprecht weiter.«
»An jenem Tag … Die Kutsche des Königs wurde auf der Rue de la Ferronnerie aufgehalten. Kurz wurde meine Aufmerksamkeit abgelenkt, als zwei mir bekannte Männer der königlichen Garde mich ansprachen. Den Rest kennt Ihr sicherlich, Mylord.«
Er schwieg und machte nur eine kleine Geste, dass ich fortfahren solle.
»Ich habe Ravaillac auf dem Rad der königlichen Kutsche stehen gesehen. Ich habe gesehen, wie der Dolch in Heinrichs Leib eingedrungen ist.« Was auch immer nicht aus meiner Stimme heraushalten konnte, würde Cecil – so nahm ich an – als Folge des Entsetzens über den Königsmord betrachten. Ich hob den Blick, als wäre ich in Gedanken verloren, sah aber überraschenderweise keinerlei Reaktion in Cecils traurigem Gesicht.
Der Engländer nickte. »Es heißt, der Herzog von Epernon hätte hinter Ravaillac gestanden und ihm das Zeichen für den zweiten Stoß gegeben, da der erste den König nur gestreift hat.«
»Ich habe kein derartiges Zeichen gesehen.«
Minister Cecil wirkte nachdenklich. »Ihr habt mir noch nicht gesagt, warum Ihr nicht in Frankreich seid. Warum hat Rosny Euch nach England geschickt? Und warum hat er Euch nicht schon längst wieder zurückgerufen?«
»Messire de Sully …«, ich versuchte, es mehr wie eine Bestätigung, denn wie eine Korrektur klingen zu lassen, »Messire de Sully hat mich nicht hierher geschickt. Es ist, wie Ihr vermutet, Mylord. Ihr mögtja an seine Unschuld glauben, doch das tun nicht alle. Ich selbst werde ebenfalls der Beteiligung an dem Attentat verdächtigt. Ich darf meinen Herrn, den Herzog, nicht unnötig in Gefahr bringen … Wird ein Mann erst einmal einer hochnotpeinlichen Befragung unterzogen, wird er bereitwillig alles gestehen, was man ihm in den Mund legt, und ich zweifele nicht daran, dass Heinrichs Mörder auch seinen Obersten Minister tot sehen wollen!«
»Aber Ihr, Master Rochefort, müsst doch wissen, wer die Mörder sind … die Mittäter von Master Ravaillac. Ihr habt ihn doch verfolgt, wie Ihr gesagt habt.«
»Er hatte einen Freundeskreis in Angoulême, aber diese Männer sind nicht wichtig, Mylord.« Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe die Mönche befragt. Sie haben nichts Schlimmeres bei ihm gefunden als ein wenig religiösen Wahnsinn. Vergangenen Dezember hat Ravaillac schon einmal einen Anschlag auf das Leben des Königs versucht. Er postierte sich mit einem Dolch vor dem Palasttor und wartete auf die Kutsche des
Weitere Kostenlose Bücher