1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist
behandelt, wäre es eine Frage von Leben und Tod geworden. Bestenfalls hätte ich ihn ein-, zweimal durchbohrt. So trug er nur ein paar blaue Flecken davon, obwohl ich es auch nicht bereut hätte, wenn Arm oder Nase gebrochen wären.
Jubel brandete von den älteren Zuschauern auf, und unbestimmbare Rufe erschallten von Darioles jungen Begleitern, und ich bin nicht so dumm, dass ich einem Mann den Rücken zukehre, von dem ich weiß, dass er noch nicht tot ist. Ich stemmte die Fäuste in die Hüfte und wartete darauf, dass er sich aufrappelte und das Gesicht abwischte, um ihn anschließend zu ermahnen, sich nicht mehr mit kräftigeren Erwachsenen anzulegen; manch einer von ihnen würde nicht so freundlich reagieren wie ich.
Dariole schlug auf dem Boden auf, sprang sofort wieder in die Höhe und kam mit dem Schwert in der Hand auf mich zu.
Er musste es gezogen haben, während er durch den Raum geflogen war, was eigentlich unmöglich schien. Er wischte sich nicht das Gesicht ab. Er zuckte lediglich kurz mit dem Kopf, um die Reste des Küchleins aus den Augen zu bekommen. Und er kam schnell genug auf mich zu, dass mir selbst gerade noch genügend Zeit blieb, mein eigenes Rapier zu ziehen.
Es gab die üblichen Rufe, »Macht das draußen!«, wie immer, wenn bei Zaton ein Kampf ausbricht, und der Koch schloss die Küchenklappe. Das war kein Duell, sondern nur eine Schlägerei, und ich hegte genug Vertrauen in den Ausgang, dass ich mich bereits fragte, ob ich genügend Geld dabei hatte, der Gesellschaft zur Entschuldigung etwas zu trinken zu kaufen.
Fünf Sekunden später kämpfte ich um mein Leben.
Das ist keine neue Erfahrung für mich, aber es kommt nur selten vor. Die meisten Fechter sind schlicht nicht so gut wie ich. Dennoch musste ich es dank meines Rufs mindestens einmal im Monat tun, und jedes Mal brachte ich meinen Mann entweder zur Strecke oder zwang ihn zu widerrufen. Ich kenne Männer, und ich kenne Schwerter.
Der Junge zwang mich dazu, innerhalb nur weniger Sekunden all mein Können ausspielen zu müssen. Bänke wurden umgeworfen, Tische beiseite gestoßen, und Männer sprangen aus dem Weg; doch ich konnte Dariole über keines dieser Hindernisse zu Fall bringen. Wenn er schon keine Augen im Hinterkopf hatte, verfügte er zumindest über ein bemerkenswert großes Sichtfeld. Und er trieb mich durch den Speisesaal wie ein andalusischer Hirtenhund seine Herde.
Mein Fehler war, dass ich ihm mit dem ersten Schlag die Initiative überlassen hatte, und der Kampf war zu hart und zu schnell, als dass ich sie hätte zurückgewinnen können. Seine Klinge sauste immer wieder herab, und die Spitze stach tief und hart zu. Er traf mich an der freien Hand und forderte so schon in der ersten Minute Blut. Mir kam noch nicht einmal der Gedanke, dass es damit zu Ende sein könnte; das hier war kein formelles Duell. Erstes Blut hin oder her, das hier würde erst enden, wenn einer den anderen durchbohrt hatte.
Erst als er mich an der Wand festgenagelt hatte, unverletzt, erkannte ich, dass er mich nicht töten würde. Warum sonst hätte er mich dort festhalten sollen? Ich stand mit dem Rücken gegen den Stein, die Hände an meinen Seiten. Zwar hatte ich die Waffen nicht fallen gelassen, doch konnte ich nichts tun, solange die Spitze seines Rapiers gegen meinen Hals drückte.
»Sullys Hund!«, sagte er, grinste und keuchte – ich nehme an, er war schlicht zu dick, um sich so schnell zu bewegen, ohne sich dabei zu überanstrengen. Sein Gesicht war noch immer voller Soße, und ich rechnete mit dem Schlimmsten. Einem solchen Jüngling war alles zuzutrauen. Hätte er mich durchbohrt, wäre das ein Desaster gewesen, doch ich hätte damit leben können – falls ich es denn überlebt hätte. Junge Männer hält nichts vor dem zurück, was ein älterer als verführerisch, aber unklug erachten würde.
Dariole war nicht der einzige gewesen, der sich an einem Küchlein gütlich getan hatte. Sie waren eine Delikatesse bei Zaton und standen überall auf den Tischen. Dariole hielt mich mit der rechten Hand fest, schnappte sich mit der linken ein solches Küchlein und drückte es mir in den Schritt.
Ich ließ ihn machen – ich hatte keine andere Wahl –, aber ich glaube nicht, dass ich seit meinem sechzehnten Lebensjahr so gehasst habe.
Nachdem sich erst einmal verbreitet hatte, dass ich besiegt worden war und noch dazu auf reichlich demütigende Art und Weise, wurde ich bis zu drei Mal am Tag herausgefordert und bis zu einem
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