Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

Titel: 1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Gentle
Vom Netzwerk:
ich mich überhaupt von jemandem fangen lassen würde, dann bestimmt nicht von ihm  …!
    Wut und Hass kochten in mir hoch. In diesem Augenblick hätte ich meine rechte Hand für eine zweite geladene Pistole gegeben. Allein die Befriedigung, diese Begegnung damit zu beenden, das Hirn des jungen Mannes an der Wand zu sehen …
    »Messire ›Dariole‹«, sagte ich giftig, während ich aufmerksam in alle Richtungen lauschte. Auf dem Heuboden war ebenso wenig etwas zu hören wie auf dem Hof. Offenbar war er allein gekommen, ohne seine hochherrschaftlichen Freunde. Das war derart frech, dass es mir den Atem verschlug. Ich bin Rochefort; man tritt mir nicht allein gegenüber, vor allem nicht irgend ein Halbwüchsiger.
    Sein blasses, rundliches Gesicht war nun im Nachmittagslicht besser zu erkennen, das durch den Eselpferch hinter ihm fiel, und sein ungebleichtes Leinenwams hob sich deutlich von den braunen Schatten ab. Überall um uns herum lag Müll: Forken mit zerbrochenen Griffen, leckgeschlagene Ledereimer und alte Weidenwände. Der Kerl wirkte bösartig und fröhlich zugleich und strahlte den für Duellanten typischen Gegensatz zwischen Aufregung und Entspannung aus.
    Er weiß es nicht, erkannte ich.
    Niemand kann so viel unschuldiges Gift vortäuschen. Er weiß noch nicht, dass der König ermordet worden ist.
    Ich hätte ihn fragen können, Warum bist du hier?, doch stattdessen sagte ich: »Mach, dass du von hier verschwindest, bevor ich dich umbringe.« Dann trat ich einen weiteren Schritt zurück und hob die Klinge als Einladung, an mir vorbeizugehen.
    Die Welle der Wut, die mich vorübergehend hatte erblinden lassen, ebbte ab. An ihre Stelle trat ein Gefühl von Dringlichkeit. Man war hinter mir her – vielleicht dauerte es nur Sekunden, bis meine Jäger auftauchen würden –, und da konnte ich es mir nicht leisten, dass die zufällige Begegnung mit diesem jungen Narren meine Flucht aus der Stadt verzögerte!
    Er grinste, wie kleine Jungen es nun einmal tun, adelige noch schlimmer als der Rest. »Ihr habt es offenbar eilig, Rochefort. Was ist mit dem Teil, wo Ihr mir erklärt, was für ein Emporkömmling ich bin? Was für ein verzogener Balg? Nun ja, es soll mir egal sein. Bringen wir die Sache hinter uns. Ihr glaubt doch nicht, dass ich darauf hereinfalle , oder?«
    Das Schmatzen meiner beiden Tiere durchbrach das darauffolgende Schweigen. Einträchtig standen sie an dem großen Futtertrog nebeneinander und reckten die Köpfe, um Heu herunterzuziehen. Nachdem sie meine Stimme gehört hatten, waren sie nicht länger rastlos. Der Junge stand zwischen mir und ihnen – und zwischen mir und der alten, verwitterten Holztruhe, wo ich Ersatzzaumzeug und einen zweiten Sattel aufbewahrte für den Fall, dass ich aus irgendeinem Grund nicht mehr in der Lage war, in meine Unterkunft zurückzukehren.
    Ich knurrte: »Aus dem Weg!«
    Dariole zog den Mundwinkel hoch. Ich wusste warum. Alles, was nicht ein unmittelbarer Ausbruch von Gewalt war, sprach von mangelndem Selbstvertrauen. Ich hätte nicht sprechen und so meine Ungeduld verraten sollen. Ich hätte ihm schlicht das über drei Fuß lange Rapier aus der Hand schlagen und ihm meins zwischen die Rippen jagen sollen.
    Der junge Mann lächelte auf provozierend gelassene Art. »Wisst Ihr, ich habe mir gedacht, wenn ich hier eine Weile herumhängen würde, würdet Ihr schon irgendwann kommen. Und nun müsst Ihr tatsächlich an mir vorbei, wenn Ihr zu Eurem Pferd wollt. Glaubt Ihr, dass Ihr das schafft?«
    Ich wollte ihm in sein selbstgefälliges, junges Gesicht schreien: Wisst Ihr denn nicht, wie ernst das ist?
    Während Ihr Euren Rausch der vergangenen Nacht ausgeschlafen habt, ist Euer König ermordet worden. Das Machtgleichgewicht hat sich dramatisch verändert – und Ihr spielt immer noch das dumme Adelssöhnchen, das sich aus Spaß duelliert.
    Ich atmete tief durch, als müsse ich mich sammeln. Ich nickte, senkte mein Schwert weiter in Richtung des mit Stroh eingestreuten Bodens und sagte: »Messire Dariole.« Und mit diesen Worten warf ich ihm die Pistole ins Gesicht und stach mit der Klinge nach seinen Augen.
    Ich kann mich nicht daran erinnern, einen Rivalen je so gehasst zu haben wie Dariolet.
    Bei unserem ersten Aufeinandertreffen habe ich ihn unterschätzt. Das war dumm.
    Es war bei Zaton, einem Spielhaus, genauer im Speisesaal, wo ich eines Nachmittags nach ein paar erfolgreichen Partien mit einigen Mitspielern beisammensaß. Die meisten dort waren Männer

Weitere Kostenlose Bücher