1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist
(letzterer von mir), und Flecken tanzten vor meinen Augen.
Da, hatte ich noch Zeit zu denken. Ein Fehler – ein einziger Fehler – und schon habe ich vierzehn Zoll Stahl im Herzen oder in den Eingeweiden …
Ein schweres Gewicht fiel auf meine Brust. Vage dachte ich, So fühlt sich also ein Stich durch die Lunge an, und dann erkannte ich, dass ich keineswegs von irgendetwas durchbohrt worden war; das war schlicht ein Gewicht.
Ich öffnete die Augen, sah aber nur mit einem. Vor meinem rechten Auge war alles schwarz … Nein, schwarz mit roten und weißen Flecken.
Irgendetwas drückte auf meinen Augapfel … Sein Dolch, erkannte ich und erstarrte eine Sekunde, als sich die Spitze zwischen Auge und Nase in meine Haut bohrte. Ein stechender Schmerz fuhr durch meinen Kopf.
»Ihr habt verloren, Messire«, sagte eine Stimme so nah an meinem Ohr, dass ich den warmen Atem spürte.
Benommen wie ich war, fiel es mir schwer, den Worten einen Sinn zu entnehmen. Mein ganzer Körper war in Erwartung des Todes angespannt. Ich spürte den Leib des Jungen auf mir, spürte, wie er seine freie Hand bewegte, während ich noch immer halb bewusstlos war. Ich spürte, dass er meine rechte Hand vom Rapier nahm und mir den Arm auf den Rücken drehte.
Es kann nur Sekunden gedauert haben, bis mir klar wurde, was er tat und dass er gewonnen hatte. Er schob meine beiden Arme unter mich, sodass ich sie mit meinem eigenen Gewicht dort gefangen hielt.
Gleichzeitig drückte sein Dolch noch immer auf mein Auge, bohrte sich aber nicht hinein. Ich war nicht tot.
»Ihr habt verloren«, wiederholte Dariole und setzte sich auf meine Brust. Er war warm und feucht von Schweiß, sein Gesicht knallrot, und das von draußen hereinfallende Sonnenlicht ließ einen staubigen Heiligenschein um seinen Kopf herum entstehen. Seine Brust hob und senkte sich unter dem verdreckten Wams. Er keuchte: »Und? Wie war das, Rochefort?«
Du bist ein Narr, dass du mich nicht getötet hast!, dachte ich, als ich langsam wieder zu Sinnen kam. Er hatte mich am Boden festgenagelt, doch selbst ein Jahr nach unserer ersten Begegnung besaß er immer noch nur Gewicht und Kraft eines jungen Mannes. Genau aus diesem Grund hätte er mich möglichst weit auf Distanz halten und fechten sollen. Stattdessen hockte er nun auf meinem Bauch und glaubte, dass ein Dolch vor meinem Auge reichen würde, um mich unter Kontrolle zu halten.
Ein Mann kann mit einem Auge leben. Ein Mann kann mit einem Auge noch immer kämpfen, auch wenn er seine Umwelt dann anders sieht. Mit genügend Übung würde ich selbst als Duellant nicht an Geschick verlieren. Halbblind ist besser als tot.
Ich konzentrierte mich, um aus der Regungslosigkeit sofort anzugreifen und mich nicht vorher durch ein Anspannen der Muskeln zu verraten – und er drehte sich und blickte nach hinten.
»Oh, jetzt aber«, sagte er plötzlich in einem gänzlich anderen Tonfall. »Schaut Euch das einmal an.«
Worauf sich der Geist eines Menschen richtet, ist manchmal schon seltsam. Ich war mir nur noch des Kampfes bewusst gewesen, der Messerklinge, die drohte, mein Auge zu durchbohren. Bewusst hatte ich weder die Wärme und Festigkeit seines noch meines Körpers wahrgenommen.
Nun wurde mir mit einem Schlag bewusst, wie hilflos ich unter ihm lag. Dass ich ihm für den Preis eines Auges den Arm auskugeln konnte, war in diesem Moment nicht von Bedeutung. Ich lag auf dem Rücken, und die Kälte des Steinbodens unter dem Stroh drang mir durch Wams und Hose. Meine Hände waren von meinem eigenen Gewicht gefangen. Der warme Leib des Jungen drückte auf meinen Körper, und er verlagerte sein Gewicht, als er mit der linken Hand unter sich griff.
Er legte die Hand auf meinen Schwanz.
Sämtliche Muskeln in meinem Leib verspannten sich. Was mich davon abhielt, ihn herunterzuwerfen und blutig zu schlagen, war nicht das Messer. Das eigentliche Duell war vergessen. Ich musste puterrot geworden sein, denn ich spürte die Hitze in meinen Wangen.
Ich vermochte mich der Tatsache weder zu stellen noch sie zu leugnen: Mein Schwanz unter seiner behandschuhten Hand war stocksteif.
Man muss wissen, dass meine Reaktion am Hofe unseres vorherigen Königs, Heinrichs III., an dem ich als junger Mann gelebt habe, nichts Ungewöhnliches gewesen wäre – unter anderen Umständen. Vom hereinfallenden Sonnenlicht umrahmt erinnerte mich Monsieur Dariole ausgesprochen lebhaft an die jungen Männer des Königs, die mehr Gefallen aneinander als an den
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