1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist
und
besiegt hat; doch das war alles nichts im Vergleich zur Größe jener
Schlacht. Mein Herr schrieb Gedichte über dieses Thema. Wie eine
Kirschblüte, in der Hitze des Juni braun wird und verwelkt; besser wäre
es gewesen, sie wäre in ihrer vollen Pracht im Mai gefallen.
Es ist nicht an mir, das Verhalten meines Herrn Hideaki zu
hinterfragen, und würde man es mir aufzwingen, würde ich alles seiner
Jugend zuschreiben und es entschuldigen. Auf dem Schlachtfeld war er
den Göttern gleich; doch bei Hofe, inmitten all der Intrigen, vermochte
er nicht zu glänzen. Angewidert wandte er sich davon ab und verbrachte
mehr Zeit mit Frauen. Manchmal spielte er auch die ganze Nacht hindurch
und trank einen Krug Sake nach dem anderen.
So kam der Tod zur rechten Zeit zu ihm – wohlgemerkt starb er
an einer Krankheit und nicht durch Verrat, sodass er keine Schande
fürchten musste. Wir begruben ihn, als das Laub von den Bäumen fiel.
Ich trat in die Dienste seines Vetters, des neuen Herrn der Provinz
Chikuzen. So blieb es für sechs, sieben Jahre.
Unter dem Vetter meines Herrn war ich ein Hauptmann der ashigaru und
nicht länger der Gefährte meines Fürsten. Und das war gut so, sagte ich
mir selbst des Nachts. Welcher Fürst will schon einen alten Mann zum
Gefährten, wenn dieser Mann weder sonderlich weise, fähig noch fromm
ist? Da ich mich meinem fünfzigsten Lebensjahr näherte, durfte ich
damit rechnen, als Hauptmann der ashigaru abgelöst zu werden.
Ich hoffte darauf, mich auf einen kleinen Bauernhof zurückziehen zu
dürfen mit genügend Dienern, um die Arbeit zu erledigen, während ich
meine Tage damit verbringe, sie zu beaufsichtigen.
In solchen Nächten patrouillierte ich im Haus meines Herrn –
ich würde es nie als das Haus seines Vetters sehen. Langsam ging ich
über das Gelände, überprüfte die Wachposten zu den unterschiedlichsten
Zeiten und verdiente mir so das keineswegs boshafte Missfallen, aber
auch den Respekt der Männer. Auch pflegte ich durch den Steingarten zu
wandern und das Mondlicht auf den Mustern zu betrachten sowie das Moos
und die Bäume zu riechen, die ihn begrenzten. Irgendwann fand ich mich
dann immer auf einem der sanften Hügel von Chikuzen wieder und blickte
nach Norden aufs Meer hinaus, während die Sonne sich aus dem
unbekannten Osten erhob.
Sicher werdet Ihr sagen, so etwas ist dumm für einen Samurai, und
ich stimme Euch da durchaus zu. Meine Finger waren nie geschickt genug,
um Farben aufs Papier zu bringen, und meine Poesie – falls ich
mich denn daran versuchte – hatte nicht den Hauch der Feinheit,
welche die Meister auszeichnet. Ich erlangte eine gewisse Befriedigung,
wenn ich die Rüstung auszog und mit dem Schwert übte, dort im heller
werdenden Licht, wo ich das Nahen des Tages mit der einzigen Fähigkeit
feierte, über die ich verfüge.
Ob es dieser Beweis meiner Individualität war, die den Vetter meines
Herrn dazu bewegte, mich auszuwählen, weiß ich nicht. Er rief mich zu
sich, befahl mich mit einem kleinen Trupp Soldaten nach Edo und wies
mich an, seinem Sohn in der Hauptstadt zu gehorchen wie ihm selbst. Das
war ein unnötiger Affront, doch nicht schwerwiegend genug, dass ich dem
Mann den Kopf abgeschlagen hätte. Er war meinen eigenen Tod nicht wert.
In Edo wies man mir einen Platz bei dem Sohn des Mannes zu: Wir
sollten auf ein Schiff gehen und ins Land der fremden Barbaren segeln.
Er sollte als Gesandter dienen. Sie waren schon so oft zu uns
gekommen – Kaufleute und Priester größtenteils –, und nun
sollten wir zu ihnen gehen.
Als wir an Bord gingen, blickte ich aufs Meer, und ich fragte mich,
ob ich an jenem Morgen, da ich an die Küste gegangen war, auf mein Grab
hinausgeschaut hatte.
Es tat mir nicht Leid, Nihon zu verlassen. Mein toter Herr
Kobayakawa Hideaki ruhte in Frieden; ich hatte keinerlei
Verpflichtungen mehr hier. Sein Nachfolger war unwürdig. Ich wollte
mich nicht als ihm verpflichtet betrachten. Und der Sohn des Mannes
verfügte über überhaupt keine Qualitäten: Er war weder tapfer noch
feige, weder hitzköpfig noch weise, weder entschlossen noch vorsichtig.
Wenn ich einen Mann verachte, dann den Zögerlichen, der seine Meinung
ändert und sich dabei wie eine Fahne nach dem Wind dreht. Solche
Männer – auch wenn man sie daimyo nennt – haben nicht das Recht, die Treue ehrbarer Samurai zu verlangen.
Von der ersten Stunde an, da wir die Segel setzten und den Hafen verließen, bescherte mir die See eine schwere
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