1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist
England. Wir können bei ihnen wohnen!«
»Wenn Ihr dort Familie habt, wird jeder Spion als erstes dort nach der vermissten Mademoiselle de la Roncière suchen«, bemerkte ich.
Das Mädchen wippte auf den Zehenspitzen wie ein weit jüngeres Kind. »Wohl kaum. Die Markhams haben mich seit meinem fünften Lebensjahr nicht mehr gesehen. Außerdem bin ich nicht Mademoiselle de la Roncière. Ich bin Monsieur Dariole. Und mich würde niemand in Begleitung von Messire Rochefort erwarten.«
›Markham‹ war ein Name, an den ich mich aus meiner Zeit in London erinnerte … Hatte der Name nicht irgendetwas mit Verrat an der englischen Krone zu tun? Wie auch immer, es ist ein recht gewöhnlicher Familienname …
Tanaka Saburo grunzte. Ich schaute ihn nicht an. Ich stehe bei Dariole vor der gleichen Entscheidung wie bei Tanaka Saburo. Entweder muss sie sterben oder das Land innerhalb der nächsten Stunde verlassen.
Saburo meldete sich unvermittelt wieder zu Wort. »Ich werde Euch beide als Ronin annehmen. Ich schulde Euch mein Leben. Mehr noch: Da Ihr mir das Leben gegeben habt, kann ich den Wunsch meines Herrn erfüllen. Ich habe keine … Ressourcen. Lasst mich helfen, wie ich kann.«
»Ich danke Euch, aber …«
Dariole fiel mir ins Wort. »Was ist ein Ronin, Messire?«
»Ein Mann ohne Herr, der sein Schwert hier und da verkauft, sei es für einen Tag oder ein Jahr, und dann weiterzieht. Wie eine Welle im Meer.« Er kniff die Augen zusammen, blickte zum Wasser und drehte sich dann wieder zu Dariole um. »Ihr werdet Euren eigenen Herrn haben, und ich erwarte keine Treue von Euch, die Eurer Treue zu ihm zuwiderläuft. Ein Mann muss seinem rechtmäßigen Herrn in allen Dingen dienen.«
Kalter Schweiß lief mir über den Rücken, doch ich blickte weiter leidenschaftslos drein; so etwas lernt man im Dienst des Duc de Sully.
»Auf dieser Grundlage werde ich ein Ronin sein, Messire«, sagte ich. »Von Männern, die ich in London kenne, werde ich versuchen herauszufinden, wie es meinem Herrn, dem Duc de Sully, geht, was in Paris und bei Hofe geschieht und was die Königin Maria di Medici gerade tut. Falls diese Dinge Euch nicht in Eurer Mission beeinträchtigen.«
Ich wusste bereits, dass sie das nicht taten. Schon während ich die Namen nannte, war ich fest davon überzeugt, dass er keine Ahnung vom französischen Hof hatte, und es kümmerte ihn auch nicht.
»Ich kenne sie nicht«, bestätigte mir Saburo, verzog das Gesicht, klang aber weiterhin nachdenklich. »Ich bin dankbar dafür, Euch meine Hilfe anbieten zu können, so gering sie auch sein mag. Wenn der Kaiser-König von England mir Geschenke gibt, soll es Euch an nichts mangeln.«
»Der englische König ist ein notorischer Geizhals. Dankt mir nicht, Monsieur. Um die Wahrheit zu sagen, Messire … Mademoiselle Dariole ist diejenige, die Euch gerettet hat. Ich half lediglich.«
Saburo klopfte sich auf den Bauch. »Ich erinnere mich.« Er deutete auf die verbliebenen Leichen. »Wir haben einander geholfen, würde ich sagen. Das sind Omen. Das Schicksal hat uns zusammengeführt. Karma. Lasst uns die Götter nicht verärgern, indem wir von hier getrennte Wege gehen. Ich denke, die Feinde Eures Herrn sind nicht weit weg.«
»Dann sollten wir das Schiff dort nehmen und gehen.«
»Über das Meer?« Er riss die runden Augen auf. »Können wir keinen Landweg nehmen?«
»Es gibt keinen.« Einem unerwarteten Impuls folgend fügte ich hinzu: »Ich will ehrlich mit Euch sein. Mein Herr, der Herzog, verfügt vermutlich im Augenblick nur noch über sehr wenig oder gar keine Macht. Seine Feindin, die Königin und Regentin, herrscht über dieses Land zusammen mit einem Rat von Fürsten. Ich … Monsieur, ich beabsichtige, ihr das Herrschen ein wenig zu erschweren. Ihre Macht ist nicht so sicher, wie die ihres Gemahles gewesen ist. Sie hat Verbrechen begangen. Ich warne Euch: Sie hat Männer, die nach England reisen werden, um zu sehen, ob ich dort bin. Und sie wird keine Gnade mit jemandem haben, der mit mir reist.«
Bevor Saburo etwas darauf erwidern konnte, meldete sich Dariole zu Wort.
»Dann flieht Ihr also nicht in die Neue Welt, Rochefort?«
»Ich bin weit genug geflohen.«
Ein Hauch von Gefühl musste sich in meine Stimme geschlichen haben. Dariole blickte mich genauso überrascht an wie auf dem Marktplatz von Poissy. Ich nahm ihr die Zügel der Stute ab.
»Nur noch ein paar Schritte.« Entschlossen deutete ich zu dem Schiff vor der Küste. »Dann bin ich
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