1612 - Der Vampir-Töter
gut wie nicht geatmet oder nur ganz schwach.
Das stimmte. Auch ich bemerkte es. Als er gesprochen hatte, da hatte er so gut wie keine Luft geholt. Ich selbst hielt den Atem an und sorgte so für eine gespannte Stille.
Es war so.
Er atmete kaum. Und das Rätsel, das er mir aufgab, vergrößerte sich.
Wer war dieser Mensch? Konnte man bei ihm überhaupt von einem Menschen sprechen?
Ich hatte inzwischen meine Zweifel.
Das Kreuz schreckte ihn zwar nicht ab, aber er fasste es auch nicht an.
Ich hatte schon damit gerechnet, dass er es mir wegnehmen würde.
Er drehte den Kopf, um mir ins Gesicht zu schauen.
»Es macht mich traurig, wenn ich daran denke, dass dein wunderbares Kreuz einen Nachfolger finden muss. Das liegt allein an dir. Ich habe dich bisher nur gekitzelt, doch das ist nun vorbei. Ich werde zuschneiden und mir zunächst deine Hände vornehmen. Jeden Finger werde ich einzeln abtrennen. Du wirst nie mehr so sein wie jetzt, und du wirst es auch nicht mehr werden, das verspreche ich dir.«
Es war hart, diese Worte zu hören, und es war noch härter, daran zu glauben, dass er sie in die Tat umsetzte. Aber das würde er tun.
»John«, sagte er jetzt. »Ich habe nicht mehr viel Zeit. Meine Geduld ist am Ende.«
Die nächste Frage flüsterte ich: »Wer sind Sie wirklich, Hunter? Sind Sie noch ein normaler Mensch - oder was?«
Er lachte mit offenem Mund. »Ich bin ein Rätsel, und ich werde es auch bleiben. Aber ich kann dir sagen, dass wir beide die gleichen Abarten hassen. Ich will diese Blutsauger vernichten. Ich bin so etwas wie Mareks Nachfolger. Jetzt weißt du Bescheid. Ich habe eine Aufgabe, so wie er sie auch hatte. Und ich werde gnadenlos meinen Weg gehen, das ist versprochen.«
Mit der freien Hand schob er das Hemd auseinander. Er klappte es so weit auf, dass ein großer Teil meiner Brust zu sehen war.
Es war klar, was das bedeutete. Er würde sich nicht nur um meine Hände kümmern, sondern auch um die freigelegte Brust. Ob ich die Schmerzen aushielt, war fraglich.
Ich wollte Zeit gewinnen und versuchte ihn abzulenken.
»Wo hast du Marek kennengelernt?«
»Es ist nicht wichtig.«
»Für mich schon.«
»Ach? Warum?«
»Weil ich herausfinden will, ob wir wirklich in einer Spur fahren.«
Er grinste. »Fast, Sinclair. Ich würde dich nie töten, das kann ich dir versprechen. Aber es gibt Situationen, in denen sich die Spuren überschneiden. Das ist nun mal hier geschehen. Mehr kann ich dir nicht sagen. Es kommt nur auf dich an, ob die Spuren wieder auseinander führen.« Er nickte, schaute dann auf meine Hände und suchte wohl den Finger aus, den er zuerst malträtieren wollte.
Ich zuckte zusammen, als ich den Druck der Spitze auf meinem rechten Mittelfinger spürte.
»Nun, John Sinclair, bleibst du bei deiner Meinung, was den Pfahl angeht?«
Jetzt gab es kein Ausweichen mehr. Ich musste meine Sturheit aufgeben. Ich fragte mich, was so schlimm daran war, wenn ich Ethan Hunter den Pfahl überließ. Wenn er ihn hatte, dann würde ich alles daransetzen, um ihn zurückzuholen.
»Meine Geduld ist leider am Ende, John.«
Das glaubte ich ihm aufs Wort und sagte mit leiser Stimme: »Augenblick noch.«
»Ja…?«
Auf meiner Stirn klebte Schweiß, als ich die nächsten Worte aussprach: »Okay, du hast gewonnen.«
»Sehr gut.« Er nahm sein Messer nicht zurück. »Und wie sieht das genau aus?«
Die Antwort fiel mir verdammt schwer, ich gab sie ihm trotzdem.
»Ich werde dir den Pfahl überlassen.«
Pause, Stille. Das Teppichmesser blieb, wo es war. Nach einer Zeitspanne, die mir ungemein lang vorkam, zog er die kleine und so gefährliche Waffe wieder zurück und stellte sich neben die Couch.
»Ich will dir mal glauben.«
»Muss ich mich jetzt bedanken?«
»Nein, das ist nicht nötig. Ich will nur den Pfahl. Wenn ich ihn habe, werde ich verschwinden.«
Es war alles gesagt.
Natürlich befand sich Mareks Erbe nicht in den Tresoren des Yards. Ich hielt die Waffe aus Eichenholz in meiner Wohnung versteckt.
Mit einer müden Bewegung erhob ich mich in eine sitzende Position und hatte den Eindruck, dass sich alles um mich herum drehte. Ich brauchte eine Pause, was auch Hunter feststellte und mich in Ruhe ließ.
Ich drückte meine gefesselten Hände gegen mein Gesicht und spürte den Schweiß darauf wie eine Ölschicht. Ich musste mehrmals tief durchatmen, um wieder normal zu werden.
Langsam ließ ich die Arme sinken. Vom Hals bis zum Brustansatz hinunter hatte sich der Schmerz als Brennen
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