1622 - Der Verlorene
wohl Gedächtnisschwund, dachte sie und ahnte nicht, wie nahe sie damit der Wahrheit kam. „Aber du bist doch Terraner?" bohrte sie weiter. „Ich glaube schon", gab er eine zweite Merkwürdigkeit zum besten, als wolle er die Fragerin auf den Arm nehmen.
Selma ließ sich ihre Verwirrung nicht anmerken. Außerdem näherte sich ihnen nun Ed Morris, dem die Neugier ins Gesicht geschrieben stand. „Hast du wenigstens einen Namen?"
„Die Mädchen haben mich >Felix< genannt."
„Mädchen?" Selma zog die Augenbrauen hoch. Ed grüßte kurz und setzte sich zu ihnen. „Was für Mädchen?"
„Ich habe ein paar Tage bei ihnen gewohnt."
Selma entschloß sich, die Mädchen zu vergessen und aktuellere Fragen zu stellen. „Die Männer eben, was wollten sie von dir? Verzeih, wenn ich frage, aber ich hatte den Eindruck, daß sie dich bedrohten. Wenn wir dir also helfen können, laß es uns wissen."
„Es sind Freunde von mir", wich er einer konkreten Antwort aus. „Wenn ich ihnen helfe, wollen sie auch mir helfen, in meine Heimat zurückzukehren."
„Und welches ist deine Heimat?
Er wirkte plötzlich sehr hilflos. „Das weiß ich eben nicht. Ein Sonnensystem in einer entfernten Galaxis."
„Aha!" Ed zeigte mit dem Finger auf Felix. „Deshalb hast du dir die Show gleich zweimal angesehen. Wurde dein Erinnerungsvermögen aufgefrischt? Ich meine, es ist doch offensichtlich, daß du dein Gedächtnis verloren hast. Wie ist das passiert?"
„Das habe ich auch vergessen", gab Felix traurig zu.
Selma begann der arme Kerl in der Seele leid zu tun. Der Mann mußte Schreckliches erlebt haben, aber aller Wahrscheinlichkeit nach hatte er auch das vergessen. „Wir würden dir gerne helfen, Felix, aber so ohne jeden Anhaltspunkt dürfte das außerordentlich schwierig sein. Weißt du, was? Wir nehmen dich mit in unser Schiff, da ist jemand, der dir helfen kann, deine Erinnerung wiederzufinden."
„Ihr habt ein Raumschiff?" Felix wurde plötzlich recht munter. „Ein richtiges Raumschiff?"
„Ja, haben wir", klärte Ed ihn auf. „Und ich bin der Chefpilot."
„Und der einzige", konnte Selma sich nicht zurückhalten.
Abrupt verwandelte sich Felix' Ge- sichtsausdruck wieder und verriet tiefste Niedergeschlagenheit. „Ich kann nicht mit euch gehen, meine Freunde würden mir das nie verzeihen und mich vielleicht sogar töten. In der Hinsicht sind sie unerbittlich. Ich habe schwören müssen, ihnen zu helfen."
„Gut, daß du das nicht vergessen hast", ertönte dicht hinter ihnen eine schneidende Stimme. „Verabschiede dich von der trotteligen Alten und dem Grünschnabel und erledige deine Arbeit.
Komm schon!"
Selma und Ed drehten den Kopf.
Der Kerl hatte sich unbemerkt angeschlichen, sah stämmig und gewalttätig aus. Er packte Felix am Kragen und zog ihn hoch.
Ed seinerseits packte zu und zog Felix auf die Bank zurück. „Schon mal was von Menschenrechten gehört?" erkundigte er sich bei dem Stämmigen, der ihn verblüfft über soviel Frechheit fassungslos anstierte.
Felix erhob sich wieder. „Schon gut, Gelder, ich komme ja mit."
Selma erspähte in einiger Entfernung zwei uniformierte Ordnungshüter, die bei einem Erfrischungskiosk standen und die Zeit totschlugen. Außerdem waren ein paar Passanten auf die Gruppe bei der Bank aufmerksam geworden.
Der Stämmige, den Felix „Gelder" genannt hatte, schien seinen Schock über Eds Frage überwunden zu haben. Er hieb seine linke Pranke auf seine Schulter und warnte: „Sitzen bleiben! Du auch, Alte! Kümmert euch nicht um Dinge, die euch nichts angehen. Und du", wandte er sich an Felix und ergriff dessen Hand, „kommst jetzt mit. Wird Zeit, daß du mit deiner Arbeit beginnst."
Er zog ihn mit sich fort, quer über den Rasen in Richtung der mittleren Ringstraße.
Selma sah, daß Felix sich nur schwach gegen seine Entführung wehrte. Er mußte fürchterliche Angst vor dem Kerl und dessen Gefährten haben. Sie wollte aufspringen, um das Paar zu verfolgen, aber Ed hielt sie zurück. „Bist du lebensmüde, Oma?"
„Ich will nur wissen, wohin sie gehen."
„Klar, will ich auch gern wissen. Aber wir müssen vorsichtiger sein.
Der Kerl sah ja auch aus wie ein Preisringer. Wenn der dir eine langt, schlägst du drei Saltos."
„Dann komm, ehe die beiden verschwunden sind."
Sie waren es bereits.
Vergeblich gingen Selma und Ed über die Parkanlage in Richtung Ringstraße, aber von Felix und Gelder war nichts zu sehen. Sie mußten in der Menge der Passanten untergetaucht
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