1623 - Der Zombie-Rabe
weiter sahen wir die weiße Pracht, die nahe der Station grau geworden war.
Wir patschten hindurch und blieben dort stehen, wo der noch nicht getaute Schnee so etwas wie eine Grenze bildete. Hier war die Sicht nicht besonders. Wir mussten auf den nächstliegenden Hügel, da würden uns keine Betonmauern den Blick nehmen.
Auf dem Weg dorthin suchten wir nach Fußspuren. Vielleicht waren unsere Vorgänger ja auch hierher gegangen. Tatsächlich entdeckten wir einige Abdrücke, die von mehreren Personen stammten.
»Waren sie das?«, fragte Harry.
Er bekam von Suko und mir keine Antwort. Wir setzten unseren Weg fort und schritten den Hang hoch, auf dem der Schnee harschig geworden war.
Auf dem kleinen Hügelrücken hielten wir an. Der Blick von hier war wirklich mit dem von der nahen Aussichtsterrasse zu vergleichen.
Prächtig in alle Richtungen.
Das konnten wir nicht lange genießen, denn wir sahen etwas, was bei uns für große Augen sorgte.
Woher sie gekommen waren, wusste ich nicht. Aber sie waren da, und sie schwebten durch die Luft.
Die uns bekannten Raben.
Erneut hatten sie einen kleinen Schwärm gebildet. Sie blieben zusammen und kreisten über einer bestimmten Stelle.
Sie war nicht weit von uns entfernt, und uns kam automatisch der Gedanke, dass sich Fabricius und seine beiden Freunde oder Helfer dort aufhielten.
Keiner war anderer Ansicht, wie wir nach einem kurzen Gespräch feststellten.
Suko verzog den Mund zu einem Grinsen. »Ich denke, dass wir uns auf den Weg machen sollten.«
Harry und ich nickten. Ein beschwerlicher Weg lag vor uns, aber uns blieb keine andere Wahl, und so gingen wir los…
***
Fabricius war blind, und trotzdem kannte er sich aus. Er wusste genau, wohin ihn seine beiden Begleiter führen mussten. Sie hatten den Mann in die Mitte genommen und hielten ihn an den Armen fest, sodass er nicht ausrutschen konnte.
Es war das, was man einen beschwerlichen Weg nannte. Bei jedem Schritt sackten sie tief in den Schnee ein.
Zwischendurch hatten Urs und Mario immer wieder gefragt, wo das Ziel lag und was sie dort erwarten würde.
Sie hatten keine Antwort bekommen. Sie sollten sich überraschen lassen, das war alles.
Hätte ihnen der blinde Mann nicht so viel bedeutet, wären sie längst umgekehrt, aber er hatte vorher und auch jetzt von einem besonderen Geheimnis gesprochen, das hier oben verborgen lag und an dem sie teilhaben sollten.
Noch führte der Weg durch den Schnee, wenn sie aber nach links schauten, da gab es einen großen Fleck, an dem die Sonne die weiße Masse weggetaut hatte. Dort glänzte der nackte Fels.
Obwohl Fabricius es nicht sah, sprach er seine Begleiter darauf an.
»Seht ihr schon die Stelle, an der kein Schnee mehr liegt?«
»Ja.«
»Da müssen wir hin.«
»Dann ist es ja nicht mehr weit«, sagte Urs Hoffmann.
»Genau.«
»Und was erwartet uns dort?«
Fabricius kicherte. »Seid nicht so neugierig. Lasst euch lieber überraschen.«
Das wollten und würden sie auch. Aber die Fragen, die sie hatten, bekamen sie nicht aus ihren Köpfen.
Sie waren Bergsteiger, sie kannten die Alpen recht gut, das war alles so weit in Ordnung, doch wo sie jetzt hingeführt werden würden, gab ihnen schon ein großes Rätsel auf.
Jedenfalls musste vor ihnen eine große Mulde liegen, denn bald merkten sie, dass es tiefer ging, und sie konnten die Stelle schon besser erkennen. Immer mehr Fels kam zum Vorschein, und plötzlich hörten sie über ihren Köpfen die ersten Krächzlaute der Raben, die wie aus dem Nichts auftauchten.
Fabricius stoppte seine Schritte. Obwohl er nichts sah, legte er seinen Kopf zurück und reagierte wie ein Sehender, der nach den Vögeln Ausschau hielt.
»Na, hört ihr sie?«
»Ja.«
»Sie sind gekommen, und sie sind unsere Freunde. Sie haben uns nicht im Stich gelassen.«
Beide Männer wussten, dass Fabricius zu den Tieren ein besonderes Verhältnis pflegte, und Urs Hoffmann fragte: »Was bedeutet das?«
»Dass wir uns auf sie verlassen können. Sie sind unsere Beschützer, unsere Warner, denn ihr müsst wissen, dass wir auch Feinde haben.«
»Du hast Feinde?«
»Ja, Urs.«
Das verstand der Mann nicht. Er sah seinen Freund an, der auch nur mit den Schultern zuckte.
»Aber wieso hat ein Mensch wie du Feinde?«
»Das wirst du bald sehen, und ich werde euch auch die Erklärung dazu geben. Nur so viel, Freunde: Die Welt ist nicht nur das, was man von ihr sieht.«
Es war eine Antwort, die erneute Fragen aufwarf. Die beiden Freunde schwiegen
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