1623 - Der Zombie-Rabe
könnt ihr euch verlassen. Ich sehe zwar eure Gesichter nicht, aber ich kann spüren, dass ihr nicht mehr auf meiner Seite steht. Von euch geht etwas Negatives aus, ungute Gefühle. Das spüre ich, und das gefällt mir nicht, was für euch nicht gut ist…«
»Aber wir hassen es, unser Leben zu ändern!«, schrie Mario Montini.
»Wir wissen, was wir dir zu verdanken haben. Du hast uns die Berge näher gebracht und du hast uns mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Aber einmal ist Schluss. Wir können nicht all deine Wege mitgehen. Wir führen unser eigenes Leben, und das soll auch so bleiben, verdammt.«
»Das könnt ihr auch. Nur besitzt ihr dann ein besonderes Wissen.«
»Das brauchen wir nicht.«
»Denkt ihr nicht an Todd Hayes?«, höhnte Fabricius.
Mario beherrschte sich nur mühsam. Er suchte zwar nach Worten, konnte aber keine Antwort geben. Das übernahm Urs Hoffmann für ihn.
Auch er stand unter Strom und riss sich nur mühsam zusammen.
»Wenn du nicht blind und schon ein alter Mann wärst, dann wüsste ich, was ich zu tun hätte. So aber kann man nur Mitleid mit dir haben.«
Er nickte. »Ja, Mitleid.« Dann ballte er die Hände zu Fäusten. »Und deine Drohungen können uns nicht schrecken. Wir werden uns zu wehren wissen.«
»Meine Freunde sind zahlreicher.«
»Das sehe ich!«
Der Blinde breitete die Arme aus. Er sagte mit kalter Stimme: »Gut, ich habe euch die Chance gegeben, ihr habt sie nicht genutzt. Das ist zwar schade für mich, aber mehr noch für euch. Und deshalb werde ich euch jetzt mit meinen Freunden allein lassen.«
»Ach, du willst weg?«, rief Urs und lachte. »Himmel, du kannst nichts sehen und…«
»Dafür habe ich andere Augen, die für mich sehen.«
»Welche denn?«
Es schien, als hätte die Figur des Raben nur auf diese Frage gewartet.
Plötzlich senkte das Tier nicht nur seinen Kopf und zuckte mit dem Schnabel, es tat noch etwas anderes.
Es plusterte sich auf!
Das zu erleben war für Urs und Mario unglaublich. Bisher hatten sie trotz allem geglaubt, einen aus Stein bestehenden Riesenvogel vor sich zu sehen. Jetzt bekamen sie bewiesen, dass dies nicht stimmte. Der Vogel sah nur aus, als wäre er aus Stein, und vielleicht war er das sogar, aber er musste dann aus einem besonderen Material bestehen, denn der Stein war aufgeweicht.
»Oh, Mist«, flüsterte Mario. »Was ist das denn?«
»Ein ZombieVogel. Das hat man uns doch gesagt. Oder hast du das vergessen?«
»Nein, das habe ich nicht. Aber ich habe es auch nicht geglaubt. Und auch jetzt bin ich…«
Er verstummte, denn er musste mit ansehen, wie sich die Flügel des Vogels bewegten. Es war zuerst nicht mehr als ein Zucken, aber das setzte sich fort, denn das Tier breitete die Flügel aus und bewies, dass es ein Vogel war, der nicht mehr auf dem Boden hocken bleiben wollte.
Er reckte sich, seine Flügel standen fast waagerecht vom Körper ab.
Jeder, der zuschaute, wartete gespannt darauf, dass der Riesenrabe sich in die Luft erhob.
Es trat nicht ein.
Er schien auf etwas zu warten. Dabei bewegte er seinen Kopf und drehte ihn so, dass er die beiden Freunde anschauen konnte. Die wichen dem Blick der Augen nicht aus und sahen jetzt die Veränderung darin.
Sprechen konnten beide nicht. Jetzt warteten sie auf die nächsten Reaktionen des Vogels, der sich schüttelte, als wollte er seine Federn abwerfen.
Er blieb auf seinen übergroßen Füßen stehen, während über der Mulde der Schwärm der kleineren Raben kreiste und beobachtete.
So sahen sie auch, was der blinde Fabricius tat. Er wusste sehr gut, wo der Rabe stand, er hatte ihn ja selbst gestreichelt, um seine Verbundenheit mit ihm auszudrücken. Jetzt blieb er neben ihm stehen, drehte den beiden Bergsteigern noch ein letztes Mal sein Gesicht zu und grinste sie böse an.
Dann kletterte er geschickt auf den Rücken des Vogels und setzte sich so hin, dass er ihn beim Fliegen nicht behindern würde.
Der Rabe breitete die Flügel aus.
»Das glaube ich nicht«, flüsterte Mario. »Das ist doch ein verdammter Traum, oder?«
Es war kein Traum. Beide schauten dem Unglaublichen zu. Sie sahen die heftigen Bewegungen der Flügel und wurden von dem dabei entstehenden Luftzug getroffen.
Mit dem blinden Fabricius auf dem Rücken stieg der übergroße Rabe in die Höhe.
Zugleich löste sich die Formation der Vögel über der Mulde auf, und die ersten Tiere stießen wie dunkle Pfeile in die Tiefe…
***
Wie weit wir noch zu gehen hatten, wussten wir nicht.
Ich
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