1628 - Die Tür zum Jenseits
warum ich den Weg fortsetzen wollte und nicht zurückging.
Es war noch immer der Verdacht vorhanden. Wer eine Steinplatte löste, der tat das nicht aus Spaß. Der wollte irgendwo hin, um dort etwas zu erreichen.
Ich ging weiter, obwohl die Luft schlechter wurde. Jetzt wollte ich wissen, wo der Gang endete, ob er eine Sackgasse bildete oder es irgendwo einen zweiten Ausgang gab.
Es war still um mich herum. Auch die Geräusche, die die Ratten verursacht hatten, waren verstummt. Weitere Nischen, in denen Särge standen, sah ich nicht.
Ich folgte dem Lichtstrahl und musste mich auch weiterhin ducken, um nicht mit dem Kopf an die Decke zu stoßen. Ein Ende des Tunnels sah ich nicht. Oder doch? Der Lampenstrahl traf auf eine feste Fläche. Das musste so etwas wie ein Quermauer sein oder das Ende des Tunnels.
Ich hatte mich mit diesem Gedanken noch nicht richtig beschäftigt, als etwas geschah, womit ich in meinem Leben nicht gerechnet hätte. Ich hörte eine Stimme. Es war die einer Frau. Sie war nicht leise, sie klang auch nicht laut, aber sie war zu hören und auch recht gut zu verstehen.
»Bist du es, Mutter?«
***
Ich hatte mir die Stimme nicht eingebildet, aber ich wusste nicht, was ich damit anfangen sollte.
Eine Antwort gab ich nicht. Das Licht ließ ich eingeschaltet und wartete auf eine Wiederholung der Frage, die mich auch tatsächlich erreichte.
»Bist du gekommen, Mutter? Du hast mich nicht vergessen. Ich war tot, aber dann hat man mich gerettet. Die Tür zum Jenseits hat sich geöffnet. Ich konnte einen völlig anderen Weg gehen…«
Eine leichte Gänsehaut rieselte über meinen Körper. Ich fragte mich, was hier gespielt wurde. Eine Antwort würde ich erst dann erhalten, wenn ich die Sprecherin sah. Dazu durfte ich nicht stehen bleiben. Ich musste dorthin gehen, wo die Stimme aufgeklungen war.
»Du hast recht gehabt, Mutter. Ich bin jetzt eine andere Person. Ich war tot, glaube ich, aber jetzt lebe ich. Ich kann wieder zu dir zurückkommen. Du wirst dich freuen…«
Ich ließ die Frau reden und bewegte mich geduckt und möglichst lautlos voran.
Mein erstes Ziel war die Querwand. Dort malte sich der Kreis des Lichtstrahls ab. Die Sprecherin sah ich nicht. Sie musste irgendwo in der Nähe sein, und ich ging davon aus, dass es noch einen zweiten Gang gab.
Die Wand rückte näher. Ich senkte die Lampe. Jetzt glitt der helle Kreis vor mir her. Er wanderte über einen lehmigen Boden, der feucht glänzte.
Irgendwann musste mal Wasser hier unten eingesickert sein, denn auch die Wände waren nicht trocken.
»Ah, ich höre dich, du kommst näher.« Die Stimme war nur noch ein keuchendes Flüstern. Darin lag die Spannung, die die Frau empfand, endlich wieder vor ihrer Mutter stehen zu können.
Darüber machte ich mir Gedanken, als ich die letzten Schritte ging und die Querwand fast erreicht hatte. Als Mutter kam für mich nur Doris Dooley infrage. Einen Beweis dafür hatte ich nicht. Aber diese Frau hatte sich schon sehr ungewöhnlich verhalten, und ich wusste auch, dass der Steinengel bei allem eine wichtige Rolle spielte.
Vor der Wand blieb ich stehen. Darin zeigte sich keine Öffnung. Es ging trotzdem weiter. Ich musste nur nach links schauen, denn da befand sich ein Quergang.
Ich drehte mich zu ihm um, leuchtete hinein und war mir sicher, dass ich von dort die Stimme gehört hatte.
Den Beweis erhielt ich wenig später. Das Licht traf ein Ziel.
Damit hatte ich zwar rechnen müssen, war aber trotzdem überrascht, denn am Ende des nicht sehr langen Tunnels stand eine junge blonde Frau in einem knallroten Kleid…
***
Wenn ich ehrlich war, musste ich zugeben, dass ich damit nicht gerechnet hatte. Ich erlitt zwar keinen Schock, war aber trotzdem mehr als überrascht. Das war also die Person, die nach ihrer Mutter gerufen hatte. Damit konnte ich nicht dienen, aber es war schon interessant zu wissen, wer die junge Frau war.
Noch hatte ich die Person im roten Kleid nicht richtig angestrahlt. Jetzt sorgte ich dafür, dass der helle Strahl in die Höhe glitt und dabei ihren Körper erfasste.
Genau das mochte sie nicht. Rasch drehte sie den Kopf zur Seite, um nicht mehr geblendet zu werden. Ich tat ihr den Gefallen und senkte das Licht wieder dem Boden entgegen.
Was hatte die junge Frau hier unter der Gruft zu suchen? Welchen Grund hatte sie, sich in dieser Welt herumzutreiben?
War es der Weg, den sie suchte, um ins Jenseits zu gelangen? Hatte sie es tatsächlich geschafft und hatte man sie jetzt
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