1631 - Die Taiga-Göttin
eine Täuschung, aber dann schaute ich noch mal hin und erkannte es erneut.
Ja, es war das feinstoffliche Gesicht einer Frau. Sogar die langen Haare waren deutlich zu sehen.
Das starre Gesicht glitt höher, sodass ich einen nackten Körper zu sehen bekam, der sich wie in Rauch eingehüllt weiter nach oben bewegte und sich dort auflöste.
Ich stand vor einem Rätsel.
Woher war die Gestalt gekommen?
Es gab nur eine Erklärung.
Sie musste aus dem Körper des Toten gestiegen sein. Und wenn das so war, dann hatte sie sich zuvor dort verborgen gehabt. Jetzt, wo der Mann tot war, hatte sie den Körper verlassen.
So etwas passierte nicht bei einem normalen Menschen. Das hier war etwas Besonderes gewesen, und schon jetzt stand für mich fest, dass ich wieder vor einer neuen Aufgabe stand.
Der Geist war verschwunden. Er konnte sich aufgelöst haben.
Der Tote war jedoch noch da. Er lag vor meinen Füßen und schien darauf zu warten, dass ich mich mit ihm beschäftigte.
Das ließ ich mir nicht nehmen.
In ihm steckte kein Leben mehr. Ob dieses Leben von dem Geist, den ich gesehen hatte, beeinflusst worden war, konnte ich nicht sagen.
Jedenfalls war hier etwas Unheimliches und nicht Erklärbares geschehen.
Ich schloss dem Toten die Augen und spürte jetzt erst das Zittern meiner Hände.
Auch ich war kein Roboter, dem der Tod eines Menschen egal war, wobei ich ihn nicht einmal verschuldet hatte. Ich wusste, dass ich aus reiner Notwehr gehandelt hatte, denn seine Kugel wäre sonst nicht an mir vorbeigeflogen.
Aber warum war er so aggressiv gewesen? Was steckte dahinter?
Mit diesen Fragen hatte ich meine Probleme, und es war so gut wie unmöglich für mich, eine Antwort zu finden. Die würde mir unter Umständen der Mann geben können, der in seinem Wagen bedroht worden war.
Bisher hatte er nichts gesagt und auch keine Reaktion gezeigt, doch das würde sich ändern.
Zu guter Letzt durchsuchte ich noch die Taschen des Toten, ohne jedoch einen Hinweis auf seine Identität zu finden.
Ich war jetzt gespannt darauf, welche Auskünfte das Opfer des Rattengesichtigen mir geben würde.
Mit langsamen Schritten näherte ich mich dem Mann, der mich sah, den Kopf anhob und mich nicht ansprach. Es war zu erkennen, dass er nur mühsam seine Tränen zurückhielt.
Recht förmlich begann ich das Gespräch, indem ich sagte: »Mein Name ist John Sinclair, und ich arbeite für Scotland Yard.«
»Danke, dass Sie mich gerettet haben.«
Ich winkte ab. »Schon gut, aber Sie können sich sicher auch denken, dass ich zahlreiche Fragen habe.«
»Ja.«
»Darf ich Ihren Namen erfahren?«
»Ich heiße Igor Sarow.«
»Sie sind Russe?«
»Das bin ich. Aber ich lebe schon lange Zeit hier in London und arbeite in der Botschaft. Ich bin mit einer Britin verheiratet, und wir haben einen gemeinsamen Sohn.«
»Dann sind Sie Diplomat?«
»So kann man es nennen.«
»Und warum wollte man Sie töten?«, fragte ich. »Danach hat es für mich ausgesehen.«
Er presste die Hände gegen sein Gesicht und schüttelte den Kopf, weil er nichts sagen wollte.
Ich hörte ihn schluchzen. Es war so etwas wie ein leichter Zusammenbruch.
Sarow musste unter einem riesigen Druck stehen.
Es dauerte eine Weile, bis er sich beruhigt hatte. Er wischte über seine Augen, putzte die Nase und entschuldigte sich für sein Verhalten.
»Das müssen Sie nicht, Mr. Sarow. Es ist völlig menschlich und normal, wie Sie reagiert haben.«
»Ja, ich weiß schon.« Er schlug mit der flachen Hand auf seine Schenkel. »Es ist am besten, wenn Sie die Sache hier vergessen. Ich werde mich mit meiner Botschaft in Verbindung setzen. Da kann man alles regeln.«
»Das lasse ich nicht zu.«
Sarow zuckte zusammen. »Warum?«
»Ich bin Polizist. Ich muss den Fall verfolgen, Mr. Sarow. Daran können auch Sie nichts ändern.«
»Bitte, seien Sie nicht stur.«
»Wie meinen Sie das?«
Er seufzte. »Ich will ja nur Ihr Bestes. Sie ahnen gar nicht, wer hinter diesem Vorgang steckt. Es ist eine Macht, mit der Sie nichts zu tun haben. So etwas geht nur uns Russen etwas an.«
Ich war davon nicht überzeugt und fragte: »Meinen Sie?«
»Ja, das meine ich.«
»Und warum geht das nur Russen etwas an?«
Er winkte ab. »Bitte, fragen Sie nicht weiter. Ich kann und darf es Ihnen nicht sagen. Ich bin Ihnen sehr dankbar für das, was Sie für mich getan haben. Ich werde mich auch revanchieren, doch was hier passiert ist, das können Sie nicht mit Ihrer Arbeit vergleichen.«
»Gut, das will
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