1648 - Die Spiegelgeborenen
war. Und er hatte Fender Boyts Bewerbung gutgeheißen, obwohl der außer einem hübschen Gesicht und einem gesunden, makellosen Körper nicht viel zu bieten hatte, denn Cadfael dachte auch an eine gesunde genetische Basis für zukünftige Generationen.
In manchen Bereichen klangen Cadfaels Überlegungen recht naiv, aber sie zeugten wenigstens von einem gesunden Verstand und von Menschenkenntnis. Er brauchte niemandem Rechenschaft über seine Kriterien abzulegen, und der Erfolg gab ihm letztlich recht.
Die Kolonie von Saira entwickelte sich in den folgenden Jahren zu einer überlebensfähigen Enklave der Menschheit. Und das alles war Cadfaels Übersicht und seiner weisen Voraussicht zu verdanken, mit der er alles geplant hatte, wie ihm tausendfach versichert wurde. Er blieb trotzdem bescheiden und den Siedlern ein Kamerad in allen Lebenslagen.
Die Siedler führten ein zu Anfang hartes, aber stets zufriedenes Leben, kamen trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten dank einer gesunden Mischung von verschiedenen Charakteren und Temperamenten gut miteinander aus, und allmählich stellte sich sogar ein gewisser Wohlstand ein. Für die meisten war das mehr, als ihnen in ihrem früheren Leben geboten worden war.
Neben dem Aufbau der Kolonie kümmerte sich Cadfael auch um Sairas Zwillinge, und das nicht nur nebenbei, sondern mit ganzem Herzen. Gleich nach Sairas Tod hatte er sich ausgiebig mit ihnen unterhalten. Mila und Nadja hatten sich zuerst vor ihm abgekapselt, wie sie überhaupt introvertiert waren. Aber als sie merkten, daß er sich gar nicht als Vater aufspielen und ihnen schon gar nicht die verlorene Mutter ersetzen wollte, akzeptierten sie ihn als Freund. Die Rolle als ihr Vertrauter, als der er sich so gerne gesehen hätte, konnte er freilich nie einnehmen.
Nadja war diesbezüglich etwas zugänglicher, aber sie stand zu sehr unter dem Einfluß - oder in der Abhängigkeit - ihrer Zwillingsschwester Mila und übernahm bedenkenlos deren Abwehrstellung und ablehnende Haltung allen und allem gegenüber, was ihrer Intimsphäre zu .nahe kommen konnte. Dabei waren die Zwillinge keineswegs unumgänglich, nur unzugänglich.
Sie arbeiteten gerne auf den Feldern und konnten auch hart zupacken, wenn Not am Mann war.
Insgesamt machten Mila und Nadja keine Schwierigkeiten und fügten sich, so gut sie konnten, in die Lebensgemeinschaft ein. Es war eigentlich umgekehrt, nämlich so, daß die anderen Siedler wegen ihrer Andersartigkeit zu ihnen auf Distanz gingen. Anders waren sie in deren Augen schon allein deswegen, weil sie sich selbst genug waren und praktisch an keinen gesellschaftlichen Veranstaltungen teilnahmen. Auch nicht an Versammlungen, bei denen wichtige Entscheidungen getroffen werden sollten. Als sie sechzehn Jahre alt und damit stimmberechtigt geworden waren, übertrugen sie ihre Stimmen auf Cadfael. „Du weißt besser als wir, was gut für die Kolonie ist", begründete Nadja dies überaus schmeichelhaft. Aber Cadfael wußte, daß es weniger an seiner Person lag als an der Scheu der Zwillinge, in der Öffentlichkeit aufzutreten. Im gleichen Atemzug verlangte Mila: „Wir möchten unseren eigenen Hausstand gründen. Das ist besser für dich und für uns.
Irgendwann wirst du dich wieder binden wollen, dann wären wir nur hinderlich. Und wir wollen schließlich auch unser eigenes Leben führen."
Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sie mit Cadfael ein Haus geteilt. „Das wird sich einrichten lassen", versicherte Cadfael, der nicht unglücklich über diese Lösung war.
Denn obwohl er mit Mila und Nadja zusammenlebte, ihnen körperlich so nahe war, fühlte er doch, wie sie sich von Tag zu Tag immer mehr von ihm entfernten. Das war ein unerträglicher Zustand. Und es gab auch andere Gründe, warum es ihm lieber war, weiter aus dem Leben der Zwillinge zu treten.
Bei den seltenen Gelegenheiten, die sie zusammen im Haus verbrachten, fühlte sich Cadfael als unerwünschter Fremdkörper, zwar geduldet, aber ignoriert. Ein Gespräch zwischen den dreien kam praktisch nie zustande, und wenn es ihm mal gelang, Nadja ein wenig aus der Reserve zu locken, dann machte dem Mila rasch ein Ende. Einmal war er ungewollt Zeuge, wie Mila zu ihrer Schwester sagte, als sie sich allein wähnten: „Eines nicht mehr fernen Tages, Schwesterherz, werden wir gemeinsam durch das Tor in diese andere Welt treten können. Dann wird sie ihre Schrecken verlieren. Sie wird uns nicht töten, sondern wir werden sie beherrschen." Das erinnerte ihn
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