1648 - Die Spiegelgeborenen
Lichtjahre von dieser Dunkelwolke entfernt, und Cadfael glaubte fest daran, daß sich Saira nun konsolidieren würde.
Sie hatte ihn gebeten, ein waches Auge auf die Mädchen zu haben und für sie zu sorgen, falls ihr etwas zustoße. Cadfael versprach es, ohne weiter darüber nachzudenken. Besorgte Mütter redeten vermutlich immer so.
Die Zwillinge machten keinerlei Schwierigkeiten und schienen ihn zwar nicht in ihr Herz geschlossen zu haben, aber wenigstens als Respektsperson und Freund ihrer Mutter zu akzeptieren. Sie bereiteten ihm die geringsten Sorgen. Es waren ausnehmend hübsche und ganz normale Mädchen, deren einzige Marotte darin bestand, wie zusammengeschweißt aneinander zu hängen. Aber das war normal und würde sich mit den Jahren bestimmt legen.
Da machte er sich um Saira schon weitaus mehr Gedanken. Er hoffte nur, daß er wirklich der starke Arm war, der ihr helfen konnte, zu einer normalen, realistischen Lebenseinstellung zu finden. „Genug gefeiert!" rief Cadfael über das Stimmengewirr hinweg. „Vor uns liegt noch ein hartes Stück Arbeit. Schließlich wollen wir unseren Kindern eine gesicherte Zukunft und uns einen geruhsamen Lebensabend sichern. Es wird darum Zeit, daß wir unsere neue Heimat einweihen und dann schleunigst mit dem Aufbau unserer Kolonie beginnen. Vergeßt auch nicht, daß wir bei einem Dutzend Geldgebern einen Berg von Schulden haben, die wir abstottern müssen!"
Wie nicht anders zu erwarten, verlangten die Siedler, daß Cadfael allein als erster den Fuß auf die Welt setzen sollte. Er zierte sich zuerst ein wenig, aber da es wohl keine Alternative gab und Saira ihn ständig aufmunternd in die Rippen boxte, nahm er diese Ehre an.
Er bestieg den Shift, setzte sich ans Steuer und ließ das Vielzweckgefährt langsam durch die Gasse ins Freie schweben, die die Menge frei gemacht hatte. Er sah Saira am Rand der Schleuse winken und winkte zurück. Über die Außenlautsprecher drangen die Jubelrufe der Siedler zu ihm, während er mit dem Shift in die Atmosphäre dieser jungfräulichen Welt eintauchte. Und das vermittelte ihm ein einmaliges Hochgefühl, wie er es bisher noch nie gekannt hatte.
Cadfael Benek, der Eroberer!
Er beschleunigte den Shift und kehrte in einer weiten Schleife zum Landeplatz des 100-Meter-Kugelraumers zurück. Obwohl die AIOLOS nicht das neueste Modell war, erschien sie ihm in diesem Augenblick als prächtig und majestätisch, wie sie da auf ihren Teleskopbeinen stand.
Cadfael landete den Shift unter der Schleuse und stieg unter dem Jubel seiner Pioniere aus. Er winkte ihnen mit beiden Armen zu. Zu spät merkte er, welch mörderisches Gedränge über ihm am offenen Schott entstanden war. Er sah Saira einen Freudentanz aufführen, ihm Kußhände zuwerfen. Sie befand sich zu nahe am Abgrund. Aber noch bevor er ihr eine Warnung zurufen konnte, war es schon passiert.
Sie sprang hoch in die Luft, bekam einen Stoß, und als sie nach unten sank, trat sie mit einem Bein ins Leere. Sie fand keinen Halt mehr und fiel wie eine Puppe in die Tiefe.
Sie landete vor Cadfaels Füßen auf dem harten Planetenboden.
Er würde nie den Blick ihrer gebrochenen Augen vergessen.
*
Der Planet, auf den sie als Lebende nie ihren Fuß gesetzt hatte, wurde zu Sairas Grab und erhielt ihren Namen.
Cadfael stürzte sich nach ihrem Tod wie ein Besessener in die Arbeit. Er schien überall gleichzeitig zu sein. Er entwarf die Pläne, organisierte den Aufbau der Siedlung und legte beim Zusammensetzen der Fertighausbauteile noch selbst mit Hand an. Er entnahm eigenhändig die Bodenproben an Stellen, die er selbst ausgewählt hatte, und bestimmte, wo welches Saatgut angebaut werden sollte. Unter seiner Leitung wurden die Lagerhäuser für die Vorräte errichtet, und er bestimmte den Standort der Silos, in denen die künftigen Ernteerträge gelagert werden sollten.
Cadfael wies den Pionieren ihre Tätigkeiten nach ihren Fähigkeiten und ihrem Können zu. Er hatte die Leute auf Gäa nach verschiedenen Gesichtspunkten ausgewählt und darauf geachtet, Vertreter möglichst vieler Berufe und Bildungsschichten mit unterschiedlichster Ausbildung zu bekommen. Techniker waren ihm ebenso willkommen wie handwerklich Begabte und Multitalente. Nur sture Spezialisten hatte er nicht in seine Auswahl einbezogen.
Er hatte Sejer Sporn in seiner Pioniergruppe willkommen geheißen, weil er ein Doktor für allgemeine Humanmedizin und Hobbyfunker und darüber hinaus mit einer Geologin verheiratet
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