Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1648 - Die Spiegelgeborenen

Titel: 1648 - Die Spiegelgeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
Vom Netzwerk:
positive Seiten haben konnte. Als alle Sairaner aus unerklärlichen Gründen dem Wahnsinn verfielen, da waren sie beide als einzige normal geblieben. Für Mila war es damals so, als hielte man ihr einen Spiegel vors Gesicht: So wie die Sairaner mußte sie sich gebärden, wenn Nadja ihr fern war.
    Auch Nadja hatte es damals so ähnlich gesehen. Aber später, nachdem sie die Situation in aller Ruhe analysieren konnten, war ihnen klargeworden, daß der Vergleich ihrer Situation mit jener der verrückt gewordenen Kolonisten unzutreffend war.
    Denn die Sairaner wurden bis auf vier, zu denen bedauerlicherweise auch Cadfael gehörte, wieder völlig normal, nachdem sie nicht mehr den Einflüssen von außen ausgesetzt waren.
    Sie, Nadja und Mila trugen den Auslöser dagegen in sich - wie eine Zeitbombe, die gezündet wurde, wenn die beiden Komponenten sich über eine gewisse Distanz voneinander entfernten.
    Aber ihre Einstellung zu ihrem Handikap hatte sich geändert, als sie merkten, daß gerade dieses ihnen dazu verhalf, in einer Welt des Wahnsinns als einzige ihren normalen Menschenverstand zu bewahren. Dieses Wissen hatte ihnen damals die Kraft gegeben, Hunderte von Wahnsinnigen an Bord der AIOLOS zu verfrachten und nach einer längeren Irrfahrt - nachdem sie Cadfael und die vier anderen auf Rabkung der Obhut der Aras übergeben hatten - in die Provcon-Faust zu fliegen.
    Der zehnjährige Raumdienst machte sich nun bezahlt, denn ohne diese Ausbildung wäre es ihnen nicht möglich gewesen, die AIOLOS aus der Gefahrenzone zu manövrieren. Danach stellte sich ihnen die wieder normal gewordene Mannschaft zur Verfügung, so daß die Rückkehr in die Provcon-Faust kein Problem darstellte.
    Wieder in der Dunkelwolke, wurde einstimmig beschlossen, die AIOLOS zu verkaufen und den Erlös und die auf Saira erwirtschafteten Ersparnisse zu gleichen Teilen untereinander aufzuteilen.
    Die Sairaner zerstreuten sich danach in alle Winde. Sejer Sporn und seine Frau Valiana boten sich an, Cadfael Beneks und der anderen drei Anteile den Medizinern von Rabkung zu überbringen. Auf Umwegen erfuhren Mila und Nadja später, daß Cadfael und seine Leidensgenossen ins Medocenter Mimas im Solsystem überstellt worden waren.
    Darüber empfanden sie große Erleichterung. Wenn ihnen überhaupt geholfen werden konnte, dann dort.
    Den Vorsatz, Cadfael einmal zu besuchen, verwirklichten sie dagegen nie, denn sie kamen nie über Sol-Town hinaus. Dies auch aus Angst, durch irgendwelche Umstände, wie schon einmal vor vielen Jahren auf Saira, voneinander getrennt zu werden.
    Mila und Nadja zogen wieder in das von der Mutter geerbte Haus außerhalb von Sol-Town.
    Da inzwischen das öffentliche Verkehrsnetz weiter ausgebaut worden war und bis in die Nähe ihres Hauses reichte, verkauften sie den alten Schweber. Von dem Erlös und ihren Anteilen an der Saira-Kolonie konnten sie auf Jahre hinaus einen bescheidenen Unterhalt finanzieren und sogar karitativ wirken.
    Sie diskutierten oft ihr Handikap, was sie dagegen tun und wie sie es in den Griff bekommen könnten. Die Aussprachen verhalfen ihnen zumindest zu einer realistischeren Sichtweise ihrer Lage, wenn sie schon keinen Weg zu einer Lösung ihres Problems wiesen.
    Milas Einstellung zu sich und ihrem Leiden hatte sich während der 25 Jahre ihres Lebens gewandelt. Es erschien ihr rückblickend geradezu so, daß die Art ihrer Anfälle einem Verwandlungsprozeß unterworfen war. Das lag jedoch an ihr selbst. Als Kind hatte sie die auf sie einstürmenden Eindrücke als bedrohliche Visionen gesehen, während sie als Halbwüchsige die Veränderungen mit ganz anderen .„Augen" als Einblicke in andere Welten sah.
     
    *
     
    An ihr erstes derartiges Erlebnis hatte Mila keine eigene Erinnerung mehr. Sie wußte nur aus den Erzählungen ihrer Mutter, daß sie mit einem halben Jahr wegen einer Kinderkrankheit von Nadja getrennt worden war und dabei ihren ersten Anfall gehabt hatte. Aber auch wenn sie daran keine Erinnerung besaß, mußte dieses Erlebnis ihre Ängste vor einer Trennung von ihrer Zwillingsschwester geprägt haben.
    Sie fühlte sich die ganze Kindheit hindurch von Geistern und Dämonen bedroht, von gestaltlosen, schemenhaften Wesen - und in eine düstere Welt versetzt, in der herkömmliche Formen keine Gültigkeit hatten, alles verwinkelt und verzerrt war, eingebettet in ein bodenloses Nichtsein das sie zu fallen schien. In ihrer Phantasie verlieh sie dem Unsichtbaren Gesichter, schreckliche Fratzen, und

Weitere Kostenlose Bücher