1654 - Komm in meine Totenwelt
die Antwort nicht hinnehmen. »Das ist mir zu schnell. Bitte, du musst nachdenken.«
»Das habe ich doch. Aber ich weiß es nicht mehr, wo sie mir begegnet ist oder wo ich sie gesehen habe. Das tut mir ehrlich leid, Al.«
Er ließ nicht locker.
»Das können doch nur Figuren gewesen sein. Oder waren es lebendige Personen?«
»Keine Ahnung.«
Al Carpenter wusste, wann Schluss war. Er wollte seine Frau auch nicht drängen und sagte mit leiser Stimme: »Es ist schon okay, Suzie, alles okay. Wir schaffen es.«
Sie sagte nichts darauf, und Al schlug vor, dass sie sich wieder hinlegen sollten.
»Ich möchte zuvor noch etwas trinken.«
»Gut, ich hole dir einen Schluck.«
»Danke.«
Al Carpenter ging in die Küche. Als er Mineralwasser in das Glas goss, sah er, dass seine Hände zitterten. Die Traumerlebnisse seiner Frau waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen, und in ihm verstärkte sich das unbestimmte Gefühl, dass diese Erlebnisse erst der Anfang gewesen waren. Das dicke Ende konnte noch nachkommen.
Er ging wieder zurück zu seiner Frau und ließ sie trinken. Sie schaute ihn über den Rand des Glases hinweg an, und er nahm ihren dankbaren Blick auf. Als das Glas leer war, reichte er Suzie die Hand und zog sie aus dem Sessel hoch.
Wie Bruder und Schwester gingen sie Hand in Hand zurück ins Schlafzimmer. Sie legten sich ins Bett.
Al rückte sehr nahe an seine Frau heran.
»Du musst keine Angst haben. Egal, was passiert, ich bin und bleibe bei dir.«
»Danke.«
»Und ich werde auch etwas tun.«
Suzie lag auf dem Rücken und starrte dabei gegen die Decke.
»Was denn?«, flüsterte sie.
»Ich werde versuchen, mit einem Experten zu reden. Da habe ich schon eine Idee.«
»Welche?«
Al lachte leise. »Ich werde dir nichts sagen, Liebes, aber ich möchte, dass du mir vertraust.«
Eine Weile lang sagte sie nichts. Dann stöhnte sie leise auf, rückte noch näher an ihren Mann heran und umschlang ihn mit beiden Armen.
»Halt mich fest, AI«, flüsterte sie. »Halt mich bitte so fest, dass der Tod es nicht schafft, mich zu holen…«
Al sagte nichts. Aber auf seinem Rücken hatte sich eine Gänsehaut gebildet. Wenn er ehrlich gegen sich selbst war, fürchtete er sich vor der Zukunft…
***
Verdammter Schnee!
Die weiße Pracht hatte ja nicht nur die Insel zugedeckt, sondern das gesamte Europa.
Von Norwegen bis Spanien stöhnte der Kontinent unter der fast schon sibirischen Kälte, aber am schlimmsten war der Schnee, der den Verkehr lahm legte, besonders auf den Autobahnen und auf den Flughäfen.
Mitten in London gab es Schneeballschlachten, und auf den Straßen quälte sich der Verkehr im Zeitlupentempo weiter. Weichen waren eingefroren, und so hatte auch mancher Zug Probleme.
Im Tunnel zwischen Frankreich und England steckten über zweitausend Menschen in den Zügen fest, weil die Kälte dort einen Sieg über die Technik errungen hatte.
Aber es gab auch Menschen, die darüber froh waren. Die Kinder. Sie hatten ihren Spaß, und das alles kurz vor Weihnachten. Aber es war Tauwetter angesagt worden, sodass der Schnee in den tieferen Lagen zum Fest wohl verschwunden sein würde.
Uns kam das zupass, und es hätte uns sogar gefreut, einige Tage im Büro verbringen zu können. Aber das war uns nicht vergönnt.
Keine Ruhepause, die ich mir nach dem letzten Fall gewünscht hätte, denn der war mir an die Nieren gegangen. Da waren Sheila und Bill Conolly von einer Person angegriffen worden, die jahrelang gewartet hatte, um sich an Bill zu rächen. Und auch Sheila wäre fast gestorben. Zum Glück hatte es nicht geklappt, und so hatten die Conollys Geburtstag feiern können. Das wollten sie allerdings auf Weihnachten verschieben, und zum Fest war auch ich eingeladen.
Die Conollys hatten auch Shao und Suko Bescheid gegeben, Glenda Perkins ebenfalls, und auch Jane Collins hatte zugesagt, allerdings ohne Justine Cavallo.
Bis dahin war jedoch noch etwas Zeit. Zuvor mussten wir raus. Man hatte im Schnee eine Leiche gefunden, die regelrecht ausgeblutet war. Das allein wäre noch kein Fall für uns gewesen, aber es gab jemanden, der die Tat in der Nacht beobachtet hatte, und dessen Aussagen hatten den Leiter der Mordkommission hellhörig werden lassen, sodass man uns Bescheid gegeben hatte. So waren wir losgefahren.
Unser Ziel lag außerhalb der City im Londoner Süden, schon am Speckgürtel und nahe der Autobahn. Bei einem solchen Wetter blieben viele Menschen zu Hause, so war der Verkehr in diese Richtung
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