1654 - Komm in meine Totenwelt
mehr.«
Wir hatten gespannt zugehört und machten dabei den Eindruck, als würden wir dem Zeugen nicht glauben.
Einige Sekunden vergingen schweigend, bis Suko fragte: »Was ist mit der Frau passiert?«
»Sie verschwand, ebenso wie der Sensenmann.« Peters lachte. »Auch wenn Sie mich für überspannt halten, aber das ist tatsächlich so passiert. Sie gingen weg oder schwebten davon, denn sie stapften nicht durch den Schnee und waren nicht mehr zu sehen, wobei ich den Eindruck hatte, dass sie sich aufgelöst hatten und eins mit der Umgebung geworden sind. Das ist zwar schwer zu begreifen, aber ich gebe Ihnen nur das wieder, was ich sah.«
Suko und ich schwiegen zunächst. Was wir da erfahren hatten, war alles andere als spaßig. Der Bericht hatte sich unwahrscheinlich angehört, aber beide glaubten wir nicht, dass der Zeuge die Unwahrheit gesagt hatte. Er war nicht der Typ dazu.
»Und wie haben Sie reagiert?«, wollte ich wissen.
Er warf den Kopf zurück und lachte.
»Ich habe ja schon einiges in meinem Leben durchgemacht, aber so etwas nicht. Das ist grauenhaft gewesen, das können Sie mir glauben. Ich war ja froh, dass man mich nicht entdeckt hat. Ich stand hinter der spaltbreit geöffneten Scheunentür und wusste nicht, ob ich wach war oder träumte. Aber ich war wach, da brauchte ich mir nur die Leiche anzusehen, die nicht weit entfernt im frischen Schnee lag.«
Das war ein Hammer!
Hinter meiner Stirn hatten sich leichte Stiche ausgebreitet, und für mich stand fest, dass wir eine neue Aufgabe vor uns hatten. Wir mussten so etwas wie ein Phantom jagen. Ein Mordphantom aus einer anderen Dimension.
»Und Sie haben nicht gesehen, woher die Frau kam?«, hakte ich nach.
»Nein. Ich habe ja im Stroh gelegen, um zu schlafen. Schlaf konnte ich nicht finden. Ich lag also wach und hörte plötzlich das heftige Keuchen und die leisen Schreie. Die Geräusche haben dann dafür gesorgt, dass ich die Tür öffnete und nach draußen schaute. Den blutigen Rest habe ich dann leider mitbekommen.« Er ballte seine Hände. »Und das waren keine Karnevalsverkleidungen.«
»Ja, da haben Sie wohl recht.«
»Und Sie, Mr. Sinclair, warum sind Sie und Ihr Kollege hier?«
»Man holt uns, wenn es Fälle gibt, die sich mehr als unwahrscheinlich herausstellen.«
»Dann sind Sie Spezialisten?«
»Irgendwie schon.«
»Und Sie wollen diesen Mörder jagen? Ein Skelett mit einer Killersense?«
»So ähnlich.«
Er musste lachen. »Glauben Sie denn an einen Erfolg? Das sind keine normalen Menschen.«
»Da kann ich nicht widersprechen, obwohl man die Frau mit anderen Augen ansehen muss - oder nicht?«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie ist wohl ein Mensch gewesen.«
»Ja, das trifft zu. Aber sie hat sich nicht so bewegt wie ein Mensch. Zuerst ja, aber dann verschwand sie und kehrte nicht zurück. Als wäre sie von der kalten Luft verschluckt worden. Sie wurde verschluckt oder löste sich auf.«
»Das ist ungewöhnlich«, gab ich zu.
Roger Peters fragte: »Glauben Sie an Gespenster oder Geister?«
»Ja, wir haben es uns angewöhnt, an übersinnliche Dinge zu glauben und sie zu akzeptieren.«
»Das tue ich jetzt auch. Und ich bin heilfroh, dass man mich nicht entdeckt hat.«
Das konnten wir nachvollziehen. Es war für mich kaum zu glauben, dass der Zeuge nicht in Panik verfallen war. Er gehörte wohl zu den Menschen, die in ihrem Leben schon sehr viel durchgemacht haben, sodass sie so leicht nicht zu erschüttern waren.
Für uns war der Sensenmann natürlich wichtig, aber im Besonderen interessierte uns die Frau, und auf sie kamen wir noch mal zu sprechen.
Ich bat um eine genaue Beschreibung.
Roger Peters zierte sich ein wenig. »Ich weiß nicht«, sagte er mit leiser Stimme. »Es war dunkel, auch wenn der Schnee die Nacht erhellte. Ich weiß aber, dass die Frau langes Haar gehabt hat. Außerdem fror sie in der Kälte nicht, und dann ist da noch etwas gewesen.«
»Was, bitte?«
Der Zeuge kratzte sich am Kinn. »Ja, das waren die Augen. Ich denke nicht, dass man sie als menschlich bezeichnen kann. Es sei denn, es gibt Menschen mit schwarzen Pupillen. Diese Augen fielen mir auf, als sie ihren Blick für einen Moment auf die Scheunentür gerichtet hatte. Die Augen werde ich nie vergessen. Zudem fürchtete ich, dass sie mich in diesem Augenblick entdeckt hatte. Aber das war wohl nicht der Fall. Sie wandte sich schließlich ab.« Roger Peters hob die Schultern und spreizte die Hände. »Mehr kann ich Ihnen wirklich nicht sagen.
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