1654 - Komm in meine Totenwelt
einen Bauernhof handelte.
»Und der Bauer hat die Leiche gefunden - oder?«, fragte Suko.
»Nein, so war es nicht.«
»Wer dann?«
»Ein Berber, ein Stromer, wie auch immer. Jedenfalls ein Mann, der sich in eine der beiden Scheunen zurückgezogen hatte, um dort die Nacht zu verbringen. Er hat dann die Tat gesehen.«
»Wo ist der Mann?«
»Er sitzt in einem unserer Wagen.«
Suko nickte und meinte, dass wir später mit ihm reden würden.
Ich war schon einige Schritte vorgegangen. Mein Ziel war dort, wo die Männer der Spurensicherung standen und vor sich hin froren. Ihre Arbeit hatten sie schon hinter sich, sie hatten nur noch auf uns gewartet, dann konnte die Leiche abtransportiert werden.
Es war eine Frau. Sie lag noch im Schnee, der um sie herum eine blutrote Farbe angenommen hatte, denn durch die Verletzung war die Frau ausgeblutet.
Von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte hatte eine Waffe sie regelrecht aufgeschnitten, und der Anblick, der sich uns bot, ließ mich schon schlucken.
Kollege Murphy stand neben Suko und mir.
»Das ist eine ziemlich böse Sache gewesen.«
Ich fragte: »Weiß man mehr über die Mordwaffe?«
»Ja, es war eine Sense.«
Ich verzog für einen Moment die Lippen und dachte sofort an den Schwarzen Tod.
Auch er, der mal mein Supergegner gewesen war, hatte mit einer Sense gemordet, aber diese Zeiten waren zum Glück vorbei.
Ich warf Murphy einen fragenden Blick zu.
Der Mann strich über seinen Oberlippenbart. »Das haben nicht wir herausgefunden, das erzählte uns der Zeuge. Der Mann heißt übrigens Roger Peters.«
»Hört sich gut an. Und was ist mit den Bewohnern hier?«
Der Kollege schüttelte den Kopf. »Die haben nichts gesehen. Ist auch nicht ungewöhnlich bei diesem Schnee. Da bleibt man lieber im Haus.« Er lachte und meinte: »Ein paar Ausnahmen gibt es leider immer.«
Klar. Ich dachte dabei an Suko und mich. Wir standen in der Nähe der Leiche und schauten sie uns noch mal an. Der Körper war in der Kälte bereits angefroren. Das Blut ebenfalls. Es hatte schon eine andere Farbe angenommen und schimmerte leicht bräunlich.
Ich konzentrierte mich nicht mehr auf die schreckliche Wunde, sondern mehr auf das Gesicht. Der Frost schien die Starre darin noch verstärkt zu haben. Da war der Schrecken wie eingemeißelt zu sehen.
Wir hatten schon neben mehr als einer Leiche gestanden und kannten diesen Blick.
Die Frau musste kurz vor ihrem Tod etwas Grauenvolles gesehen haben, und diesen Anblick hatte sie mit ins Jenseits genommen.
»Weiß man, wie die Frau hierhergekommen ist?«
Murphy schüttelte den Kopf. »Nein, der Zeuge nicht und die Bewohner im Haus auch nicht. Es sind Bauern, die hier ihre Felder bestellen und jetzt Pause haben.«
»Sind Sie sicher?«, fragte Suko.
»Wie meinen Sie das?«
»Dass die Bewohner hier nicht gelogen haben.«
»Doch, ja. Da bin ich mir sicher. Warum sollten sie gelogen haben? Ich kann mir keinen Grund vorstellen.«
»Ja, ja, dass stimmt.«
Dann fragte Suko: »Kennen Sie den Namen der Toten?«
»Leider nicht. Sie hatte nichts dabei, was auf ihre Identität hingewiesen hätte. Wir werden ihr Bild an die Medien geben, dann sehen wir weiter. Oder sind Sie dagegen?«
»Im Prinzip nicht«, erwiderte Suko. »Kann sein, dass wir vorher Glück haben und etwas herausfinden.«
»Optimist.«
»So denken wir eben. Warten Sie noch einen Tag. Es kann zudem sein, dass die Frau vermisst wird und man Meldung gemacht hat.«
»Das werden wir auch überprüfen.«
»Dann fangen Sie damit an.« Suko wandte sich an mich. »Ich denke, wir sollten uns um den Zeugen kümmern - oder?«
»Machen wir glatt.«
Murphy sagte uns, in welchem Wagen wir ihn finden konnten.
Bevor wir gingen, schaute ich noch mal zurück zu dem Bauernhaus. Die Fenster waren nicht vereist. Gardinen hingen nicht vor allen. An zwei Fenstern waren sie leicht verschoben worden, und in den Lücken schimmerten schwach die Umrisse der Gesichter der Neugierigen.
Wir mussten durch den Schnee stapfen, um den Wagen zu erreichen. Im Moment war es still um uns herum, und wir hörten nur das Knirschen der eigenen Schritte im Schnee.
Den Zeugen fanden wir im Fond. Roger Peters hockte dort und hielt mit beiden Händen eine Tasse fest, aus der es leicht dampfte. Auch einen schwachen Kaffeegeruch nahmen wir wahr.
Als wir die Tür geöffnet hatten, drehte der Mann den Kopf und schaute uns aus funkelnden Augen an.
Ich lächelte ihm zu und nickte.
Erschüttern konnte den Mann nichts.
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