1657 - Der weibliche Golem
dass wir uns bald in London sehen. Und halte dich tapfer, Mädchen.«
»Darauf kannst du dich verlassen, John.«
»Bis später. Und grüß auch Bill und Harry.«
»Mach ich glatt.« Sheila schüttelte den Kopf, lächelte dabei und legte ihr Handy auf den kleinen Tisch. Das war wieder typisch John Sinclair. Er machte sich Sorgen. Damit lag er nicht falsch.
Sheila stand auf und ging zur Minibar. Sie öffnete die Tür des kleinen Kühlschranks, schaute hinein und holte eine Flasche Wasser heraus, die sie öffnete und sich ein Glas mehr als über die Hälfte voll schenkte. Mit dem Getränk in der Hand trat sie an eines der beiden Fenster und schaute auf die Straße, die unter ihr lag An einigen Stellen war sie erleuchtet. Der Schnee blendete, sodass sie nicht viel erkennen konnte. Das Fenster öffnen wollte sie auch nicht, aber der Raum konnte schon einen Frischluftstoß gebrauchen, und so bewegte sich Sheila auf die Balkontür zu, die sie aufzog. Sie ging auf den kleinen Balkon.
Bis dicht an das hölzerne Geländer trat sie heran. Das Thermometer zeigte eine Minustemperatur an, doch als so kalt empfand sie es nicht, weil der Wind eingeschlafen war.
Dafür erlebte sie eine Nacht wie aus dem Bilderbuch. Das lag nicht nur an der unberührten Schneedecke unter ihr, sondern auch an dem mit unzähligen Sternen bestückten Himmel, die ein prachtvolles Bild abgaben. So eine Winternacht erlebte man nur in den Bergen, denn dort war die Luft noch einigermaßen klar. Das Zimmer mit dem Balkon lag auf der Rückseite des Hotels. Sheilas Blick schweifte über eine freie Fläche. Es gab weiter rechts einen schmalen Feldweg, an dessen Beginn eine Laterne stand.
Es waren auch keine Spaziergänger in dieser Nacht unterwegs. Wenn ja, dann würden sie durch den Ort gehen.
Nein, das stimmt nicht, denn Sheila entdeckte auf der hellen Schneefläche etwas Dunkles, das sich bewegte. Das waren tatsächlich zwei Menschen, die wohl einen nächtlichen Spaziergang unternahmen, sich dabei nicht an die Wege hielten und querfeldein gingen.
Darüber wunderte sich Sheila schon, und sie fragte sich, wer das wohl tat. Es konnte ihr eigentlich egal sein, und doch zögerte sie noch, sich in ihr Zimmer zurückzuziehen. Was sie da sah, machte sie schon neugierig. Schnell bewegten sich die beiden Gestalten nicht. Das war wegen des hohen Schnees auch nicht möglich. Sheila wunderte sich nur über den Abstand, den sie zueinander hielten. Wenn sie zusammengehörten, war das schon ungewöhnlich. Sie wartete ab, was die Gestalten vorhatten. Wie es aussah, steuerten sie die Rückseite des Hotels an, denn nichts deutete daraufhin, dass sie ihre Richtung verändern würden. Es war durchaus möglich, dass sie zum Personal gehörten und das Hotel durch einen Hintereingang betraten.
Sheila wunderte sich über sich selbst, dass sie daran nicht glauben konnte. Aber sie, blieb auf dem Balkon stehen und ließ die beiden einsamen Wanderer näher kommen.
Die Rückseite des Hotels lag auch nicht im Dunkeln. Aber es waren recht schwache Lampen, die ihre Helligkeit verströmten, und so verging Zeit, bis Sheila die beiden Gestalten besser erkennen konnte.
Zwei Frauen!
Normalerweise hätte sich die Alarmklingel bei ihr nicht gemeldet. Aber sie hatte nicht vergessen, dass aus diesem Ort drei Frauen verschwunden waren. Jetzt sah sie zwei. Ob es allerdings die beiden verschwundenen Einheimischen waren, stand nicht fest.
Harry hatte ihr nicht-beschrieben, wie die Frauen aussahen, ihr fiel nur der Unterschied zwischen ihnen auf, und das lag an der Kleidung. Die eine war in einen Mantel gehüllt. Die andere trug viel zu dünne Klamotten. Sheila sah eine Bluse und eine dünne Hose. Es war viel zu kalt, um sich in solchen Sachen draußen zu bewegen. Aber diese Person machte auf Sheila den Eindruck, als spürte sie die Kälte gar nicht. Das war noch ungewöhnlicher, das passte auch nicht zusammen.
Die beiden Frauen waren am Rand des Lichtscheins stehen geblieben. Sheila beugte sich über das Holzgeländer.
Die beiden blieben zusammen. Sie unterhielten sich nicht, was Sheila gern gehabt hätte. Sie schauten sich nur an, nickten hin und wieder und bewegten sich voneinander weg.
Sheila hatte sich sowieso schon darüber gewundert, wie die Frauen die Strecke durch den Schnee zurückgelegt hatten. Die waren ziemlich schwankend gegangen, als hätten sie zu viel getrunken, was aber auch an der dicken Schneedecke gelegen haben könnte.
Eine ging wieder ein paar Schritte zurück. Sie
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