1657 - Der weibliche Golem
hielt an, wo der Schnee höher lag. Dort legte sie den Kopf zurück und schaute in die Höhe. Als hätte sie gewusst, dass es dort jemanden gab, der sie beobachtete.
Sheila zog sich nicht zurück. Sie blickte nach unten und erkannte schwach das Gesicht. Sekunden später fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie erinnerte sich zugleich an eine andere Szene. Da hatte sie mit Bill und Harry hier im Zimmer gesessen und Harry hatte ihnen die Beschreibung seiner verschwundenen Kollegin gegeben.
Sheila hielt den Atem an. Sie schaute noch mal genauer hin und war sich sicher, dass sie sich nicht geirrt hatte.
Eine der beiden Frauen war Greta Müller!
***
Diese Erkenntnis ließ ihr Herz schneller schlagen. Damit hatte sie nun beim besten Willen nicht rechnen können. Es wäre auch kein Problem für sie gewesen, die Frau anzusprechen und zu begrüßen, aber deren Verhalten kam ihr schon recht ungewöhnlich vor. Sie hätte sich zumindest melden können, denn sie sah ja, dass da jemand vom Balkon auf sie herabschaute. Warum tat sie nichts? Stattdessen blieb sie stehen und schwankte leicht von einer Seite zur anderen. Sheila glaubte nicht, dass sie zu viel getrunken hatte, dieses Benehmen deutete auf einen anderen Zustand hin.
Aber auf welchen? Bisher hatte sich Sheila zwar Gedanken gemacht, aber nicht die richtigen. Jetzt musste sie davon ausgehen, dass zumindest mit. Greta Müller etwas passiert war, das sie noch nicht einordnen konnte, aber durchaus als schlimm ansehen musste.
Es war, abgesehen vom Augenkontakt, zu nichts zwischen ihnen gekommen. Das wollte Sheila ändern, deshalb sprach sie die Frau an.
»Sie sind doch Greta Müller - oder?«
Eine Antwort erhielt sie nicht. Dafür schwankte der Körper wieder leicht von einer Seite zur anderen, ohne allerdings zu Boden zu fallen.
Das war für Sheila nicht zu begreifen. Und noch etwas konnte sie nicht nachvollziehen. Greta Müller atmete nicht. Kein Wölkchen war vor ihren Lippen zu sehen.
So lange kann ein Mensch die Luft nicht anhalten. Das ist unmöglich!, dachte Sheila. Aber es stimmte. Sie hatte sich nicht geirrt, da war kein Atemhauch zu sehen. Warum nicht?
Sheila sprach Greta Müller nicht mehr an, aber ihre Überlegungen bewegten sich in eine bestimmte Richtung. Dagegen konnte sie sich nicht wehren, auch wenn es schlimm war.
Menschen, die nicht atmen und trotzdem existieren, sind keine Menschen mehr im eigentlichen Sinne. Das sind Zombies, Leichen, die auf eine bestimmte Art und Weise leben.
Der Gedanke daran wollte Sheila nicht loslassen. Sie wich von der Brüstung zurück und ging auch nicht mehr hin. Der nächste Weg führte sie zurück in das Zimmer. Schnell war die Balkontür geschlossen, und Sheila musste zusehen, dass sie erst wieder zu Atem kam und das Gesehene verdaut hatte.
Dann erst konnte sie weitersehen. Noch immer hatte sie das Gefühl, als würde ihr jemand den Boden unter den Füßen wegziehen.
Weibliche Zombies in diesem kleinen Ort! Das war nicht zu fassen. Sheila schlug gegen ihre Stirn.
Aber es stimmte. Sie wusste genau, was sie gesehen hatte. Und ausgerechnet jetzt war sie allein. Hilfe konnte sie nicht erwarten, nicht von den Mitarbeitern im Hotel. Bill fiel ihr wieder ein. Er war leider weit weg. Sie konnte nur hoffen, dass er sein Handy eingeschaltet hatte. Sicher war das nicht, denn sie kannte ihren Mann. Wenn Bill mal unterwegs war und nicht gestört werden wollte, dann schaltete er sein Handy aus.
So war es auch jetzt. Sie bekam keinen Kontakt.
»Was mache ich denn jetzt?«, flüsterte sie vor sich hin. »Ich muss etwas tun. Wenn es Zombies sind, dann suchen sie Menschen, die sie töten können.«
Das wusste sie, aber das wusste nur sie allein, denn kein Mensch hätte ihr geglaubt. Im Zimmer bleiben wollte sie auch nicht. Sie musste einfach etwas unternehmen. Sheila griff nach ihrer gefütterten Jacke und streifte sie über. Jetzt hätte sie gern eine mit Silberkugeln geladene Schusswaffe gehabt. Doch sie kamen aus dem Urlaub, und da nimmt man normalerweise keine Waffe mit.
Sie wollte nicht mehr denken und nur noch handeln. Alles andere hatte keinen Sinn. Ihr fiel auch nicht ein, was sie als Waffe hätte nehmen können, und deshalb war es wichtig, dass sie die beiden weiblichen Zombies vertrieb und von anderen unschuldigen Menschen fernhielt.
Ihr Herz klopfte schneller, als sie die Tür öffnete und in den matt erhellten Gang schaute. Dort war niemand zu sehen. Die Befürchtung, dass sich die beiden Wesen zu ihr auf den
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