1679 - Mandragoros Geisterfrau
ersten Hinschauen war ihr etwas aufgefallen, und das sah sie jetzt genauer. Möglicherweise war der Mann erstickt. Und das auf eine brutale Weise. Sein Mund stand noch offen, aber man hatte etwas in ihn hineingestopft. Carlotta erschrak, als sie es erkannte. Sie presste sogar ihre Hand gegen die Lippen und hatte das Gefühl, dass sich die, Welt einige Sekunden lang um sie drehte. Der Mann war mit Pflanzen und Blättern regelrecht erstickt worden. Aus seinem offenen Mund ragten noch einige Stängel hervor und auch weiche Blätter klebten dazwischen.
Carlotta wandte sich ab. Ihre Knie waren weich geworden. Sie fühlte sich plötzlich so allein und wusste nicht, was sie unternehmen sollte. Hier war alles auf den Kopf gestellt worden. Hier regierte das Grauen.
Die Geisterfrau war nicht mehr zu sehen, und darüber konnte sich Carlotta nur freuen. Sie war auch froh, wieder in Maxines Haus zu sein, obwohl sie sich dort auch nicht hundertprozentig sicher fühlte. Sie hatte es mit einer Gegnerin zu tun, die ihr überlegen war, gegen die auch John Sinclair schlecht würde ankommen können. Zusammen mit ihm und auch mit Max hatte Carlotta schon viel erlebt. Sie hatten harte Kämpfe durchgestanden, manchmal auch um ihr Leben gebangt. Aber sie hatten es immer wieder geschafft, letztendlich die Sieger zu bleiben. Und jetzt?
Vor Wut hätte sie schreien können, denn zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, dass die andere Seite stärker war…
***
Wir hatten die Strecke rasch geschafft, weil wir recht schnell gefahren waren. Ich hatte mich hinter den Geländewagen gehängt, und ohne es direkt zu wollen, kreisten in meinem Kopf zahlreiche Gedankenfetzen, die sich ausschließlich um ein Thema drehten.
Wie weit würde Mandragoros Geisterfrau gehen? Einen oder zwei Menschen hatte sie bereits getötet, jetzt gab es noch vier, die an dem neuen Projekt mitwirkten. Vier Männer, die lebten.
Wie lange noch?
Ich glaubte nicht daran, dass Tabea ihren Rachefeldzug einstellen würde. Sie und auch Mandragoro wollten ein Exempel statuieren, und wie es aussah, würde ihnen das auch gelingen.
Ich stand zwischen den Fronten. Ich konnte nicht hinnehmen, dass Menschen getötet wurden, egal, was sie auch getan hatten. Ich musste mich auf ihre Seite stellen, ob Mandragoro und seine Helferin das nun akzeptierten oder nicht. Dazu musste ich mit ihnen Kontakt aufnehmen, und das so schnell wie möglich. Ich wollte dies auch mit Maxine Wells absprechen und ihre Meinung dazu hören.
Nach weiteren fünf Minuten Fahrt bogen wir in die Straße ein, an der die Tierärztin wohnte. Der Weg war mir inzwischen vertraut, denn ich hatte Maxine nicht erst einmal besucht.
Zugleich verließen wir unsere Fahrzeuge. Maxine wollte zur Haustür laufen. Mein Ruf hielt sie auf.
»Moment noch.«
Sie drehte sich um. Ihr Gesicht war gerötet, die Züge angespannt. »Ich habe eine Idee.«
»Und welche?«
»Ich werde mich Mandragoro stellen und ihn bitten, das Morden zu stoppen.«
Maxine Wells sah mich an, als hätte ich etwas Schlimmes gesagt. »Das ist nicht dein Ernst?«
»Doch.«
»Aber du gibst damit indirekt auf, John!«
»Ja«, erwiderte ich etwas betreten, »das weiß ich. Es fällt mir auch nicht leicht, doch ich sehe keinen anderen Weg. Manchmal muss man sich eben verbiegen, um gewisse Dinge zurechtzurücken. Die andere Seite wird nicht aufgeben.«
»Tut sie das denn, wenn du dich einmischst?«
Ich war ehrlich und sagte: »Ich habe keine Ahnung, Max, wirklich nicht. Ich kann es nur hoffen.«
»So habe ich dich noch nie erlebt.«
Mein Grinsen fiel etwas müde aus. »Ja, du hast recht. Aber manchmal geht es nicht anders und…«
Hinter Maxine wurde die Haustür geöffnet. Carlotta trat auf die Schwelle und beide hörten wir ihre erleichterten Worte.
»Das seid ihr ja.«
Wir gingen zu ihr und traten ins Haus. Wir sahen ihr an, dass etwas passiert war.
»Bitte, was ist geschehen, Carlotta?«
Das Vogelmädchen nickte Maxine zu. »Sie war hier.«
»Wo?«
»Im Garten habe ich die Geisterfrau gesehen, und ich muss euch sagen, dass sie nicht allein gewesen ist. Sie hat uns etwas mitgebracht.« Carlotta schluckte. »Ein makabres Geschenk.«
»Und was?«
»Einen Toten«, flüsterte sie.
Jetzt waren Maxine und ich voll alarmiert. Ich wollte wissen, wie es genau abgelaufen war, aber Carlotta sagte nur: »Lasst uns in den Garten gehen. Da liegt er.«
Wenig später hatten wir den Garten erreicht und gingen durch das frische Gras. Dass dort jemand lag, war
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