1693 - Vierzehn Berserker
jetzt. Das alte Feuer in ihr war anscheinend erloschen.
Oder doch nicht?
Gehörte sie wirklich schon zum alten Eisen?
Von ihrem wahrscheinlichen Alter her mußte sie die Frage verneinen. Kallo a Genso war nachweislich 168 Jahre alt, hochaktiv, geistig beweglich und mittendrin im Leben.
Litt sie doch stärker unter den Spätfolgen der Simusense-Vernetzung? Oder war sie natürlich gealtert und deshalb lustlos geworden?
Da war wieder der brennende Wunsch, es dem feisten Kallo hinter seinem Gevonia-Pappelholz-Schreibtisch zu zeigen! Daß noch etwas in ihr steckte. „Wenn mir das gelingt", murmelte sie, „dann ziehe ich mich freiwillig aus dem Geschäft zurück. Aber einmal muß es noch klappen."
Ihre Gedanken rasten hin und her, brachen ab und erzeugten wiederum neue, bis der trommelnde Regen schließlich verstummte.
Der Weg bis zu Iunoys Arbeitsplatz war nicht weit. Cidem Kassiopeia mußte zwei robotische Kontrollen passieren, aber ihr Presseausweis machte den Weg schnell frei.
Dann stand sie Iunoy Wataka gegenüber, die im Vorraum einer riesigen Lagerhalle mit mehreren Transmittern ihren Dienst versah. Ein Lächeln huschte über das Gesicht der Hanse-Spezialistin, als sie die Freundin erblickte.
Die beiden Frauen umarmten sich kurz. „Du hast Kummer", stellte Iunoy Wataka nach der Begrüßung fest. „Ich sehe es dir an."
„Stimmt", gab Cidem Kassiopeia zu. „Kallo a Genso will mich feuern. Ich bin zu alt und zu trag geworden."
„So ein Unsinn", versuchte die Freundin sie zu trösten. „Was hältst du davon, wenn wir heute abend einen Bummel unternehmen, gut essen gehen und uns in Ruhe über alles unterhalten?
Ich habe heute nämlich einen arbeitsreichen Tag. Die Roboter müssen noch mehrere Versorgungscontainer fertigmachen. Und ohne menschliche Aufsicht und Kontrolle geht das nun einmal nicht."
„Ich störe dich hier", mutmaßte die Reporterin. „Ehrlich gesagt, ja. Sieh dort auf die Leuchttafel. Mehrere Raumschiffe treffen noch heute im Solsystem ein und haben Versorgungspakete angefordert. Ich habe wirklich viel zu tun. Aber heute abend habe ich Zeit. Um sechs Uhr werde ich abgelöst. Ich schlage vor, wir treffen uns um acht Uhr am Fuß des Rakal-Towers."
„Einverstanden." Cidem Kassiopeia überflog blitzschnell die Namen der Raumschiffe, die heute noch einen Versorgungscontainer erhalten sollten. Warum sie das tat, war ihr nicht bewußt. „Um acht Uhr am Rakal-Tower", wiederholte sie etwas matt und tonlos. „Ich freue mich."
Sie winkte und verließ den Raum, Iunoy Wataka blickte ihr nachdenklich hinterher, Cidem merkte es nicht.
Als Cidem Kassiopeia außer, Sichtweite der Freundin war, beschleunigte sie ihre Schritte.
Plötzlich wußte sie, was sie zu tun hatte.
Ihr Instinkt für Brennpunkte des Geschehens hatte sie noch nicht verlassen! Das spürte sie bis in die letzte Faser ihres Körpers. Die Zweifel waren plötzlich wie weggewischt, das alte Feuer war wieder erwacht.
Woher das gekommen war, blieb ihr ein Rätsel. Sie sah auch keine Veranlassung, dieses Rätsel zu lösen. Sie erinnerte sich an die früheren Jahre. Sie brauchte sich einfach nur an das zu halten, was wie ein instinktives Verlangen in ihr war. Sie würde den richtigen Weg gehen.
Am Ende des Weges würde sie die Ursachen vielleicht erkennen. Vielleicht auch schon früher.
Sie verdrängte die grübelnden Gedanken und betrat erneut die Transmitterstation. Die Zielkoordinaten lauteten auf Komol-Ton, Tibet. In dem kleinen Bergdorf, das über Jahrtausende zum großen Teil seinen ursprünglichen Charakter bewahrt hätte, besaß Cidem Kassiopeia ein kleines Haus.
Früher hatte es hier eine eigene kleine Schule gegeben, und die Lehrerin hatte das Haus bewohnt. Nach der MonosÄra hatte man auf die Schule verzichtet.
Die wenigen Kinder, die im Dorf lebten, besuchten die Schulen in Lhasa, die sie bequem mit einem Robot-Gleiter erreichen konnten.
Der Haupttransmitter von Komol-Ton stand am Rand des Dorfplatzes, der noch ein uraltes Kopfsteinpflaster besaß. Unweit davon stand das vielleicht älteste Gebäude des Dorfes, das Gasthaus „Zum Doppelstern".
Die Historie berichtete, daß das Gasthaus am Komol-Ton-Paß schon im 20. Jahrhundert der alten Zeitrechnung existiert hatte. Damals hatte es natürlich einen anderen Namen gehabt, nämlich Huag-Komol-Ton, was etwa soviel bedeutete wie: Raste am Komol-Ton-Paß!
An eine Rast dachte Cidem Kassiopeia jetzt nicht. Sie achtete auch kaum auf die Geräusche, die aus dem
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