1697 - Aibons Echsenfalle
das ein Vorschlag?«
Lena dos Santos nickte nur. Sagen konnte sie nichts. Die Reaktion dieses Typen hatte ihr wieder mal die Sprache verschlagen. Am liebsten hätte sie alles hingeworfen, aber sie brauchte den Job, um in London überleben zu können. Das wussten Typen wie Coplin ganz genau, und so saßen sie immer am längeren Hebel.
Er verschwand mit schnellen Schritten. Das tat er immer. Schnell gehen, so wollte er zeigen, wie dynamisch er war.
Vier Augen verfolgten ihn. Brenda Cole stieß den Atem leicht pfeifend aus und flüsterte: »Da geht das Arschloch.«
»Wir können ihn nicht ändern.«
»Ich weiß, Süße, aber ich würde ihn gern mal mit voller Wucht irgendwohin treten.«
»Vielleicht ergibt sich mal die Gelegenheit.« Lena streichelte die Schulter ihrer Freundin. »Ich habe jetzt allerdings andere Probleme.«
»Klar, du meinst den Kunden.«
Lena schüttelte den Kopf. »Der Mann war kein Kunde. Er war ein ekelhaftes Monster.«
»Klar, aber wer wird dir glauben?«
Lena schaute Brenda an. »Was ist mit dir? Glaubst du mir denn?«
»Soll ich ehrlich sein?«
»Bitte!«
Brenda senkte den Kopf. »Ich weiß es nicht genau. Ja, ich weiß es wirklich nicht. Sei mir nicht böse, aber vorstellen kann ich es mir beileibe nicht.«
»Das weiß ich. Das nehme ich dir auch nicht übel. Aber ich weiß, was ich gesehen habe.«
»Schon. Aber kann es nicht sein, dass man dich verarscht hat? Dass dieser Typ sich eine Maske aufgesetzt hat?«
»Habe ich auch schon gedacht. Aber der wirkte so verflucht echt.«
»Wie lange hast du ihn denn gesehen?«
»Nicht lange.«
Brenda tippte ihre Freundin an. »Genau das ist dein Problem. Alles ist zu schnell über die Bühne gegangen. Und deshalb wird man dir auch kaum glauben.«
Lena lächelte verloren. »Mal sehen, Brenda. Ich jedenfalls werde das nicht vergessen, was ich heute erlebt habe. Niemals werde ich das …«
***
Der Mann hatte noch einen freien Sitzplatz hinten in der letzten Bankreihe des Busses gefunden. Er war froh, sich darauf niedersetzen zu können. Er brauchte eine gewisse Ruhe, auch wenn sie nicht von langer Dauer sein würde.
Zwei Stationen weit wollte er fahren, dann hatte er sein Ziel, den Holland Park, erreicht, wo er etwas mehr Ruhe finden würde. Das Wetter lud noch mal dazu ein, sich im Freien auf eine Bank zu setzen, um auf das Laub der Bäume zu schauen, das sich mit jedem Tag immer stärker einfärbte und bald, wenn die ersten Stürme über das Land fegten, zu Boden sinken würde.
Er fühlte sich trotz des Sitzplatzes unwohl. Ihm passten die beiden Frauen nicht, die ihn flankierten. Ihre Kleidung roch muffig. Eine der beiden saugte ständig an der Öffnung einer Flasche, die mit einer grünen Flüssigkeit gefüllt war. So etwas passte ihm nicht, und so war er mehr als froh, den Bus bald verlassen zu können. Er stand schon vor der Haltestelle auf und war schließlich der Erste, der hinaus ins Freie trat.
Dort atmete er die Luft tief ein. Sie war frisch, aber nicht klar, denn über London lag ein schwacher Nebelschleier, der keine weite Sicht zuließ.
Bis zum Park waren es nur wenige Meter. Er betrat ihn an der Südostecke, ließ die Botschaft des Commonwealth hinter sich und nahm einen der Hauptwege, die ihn in den Park führten.
Der Mann war nicht allein. Ältere Menschen, die keinem Beruf mehr nachgingen, spazierten über die Wege. Aber auch Mütter mit kleinen Kindern nutzten den Tag aus, denn der Nebel begann sich zu lichten, und am Himmel zeigte sich bereits schwach der Umriss der Sonne.
Das alles nahm der Mann nur wie nebenbei wahr. Er hielt den Kopf gesenkt und beide Hände in den Taschen seines Mantels vergraben. Seine Schritte, die zuerst noch normal gewesen waren, hatten sich verändert. Er ging jetzt mehr schwankend und hatte auch den Kopf angehoben – wie ein Mensch, der nach etwas sucht.
Das war bei ihm tatsächlich der Fall. Er wollte nicht mehr weitergehen, er musste sich ausruhen und hielt deshalb Ausschau nach einer leeren Bank.
Drauf sank er nieder. Dass das Holz einen feuchten Film zeigte, störte ihn nicht. Der Mantelstoff war dick genug, um die Feuchtigkeit abzuhalten.
Er stöhnte auf, fuhr durch sein aschgraues Haar und ließ sich zurück gegen die Lehne fallen. Sein Mund stand offen. Das Gesicht hatte er verzogen, und so waren aus den Falten tiefe Furchen geworden.
Es würde ihn erneut treffen, das wusste er genau. Es ging nicht anders. Der Keim steckte in seinem Innern, und es geschah immer öfter.
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