17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut
schrie aus Leibeskräften:
„Jabandschylar, jabandschylar – Fremde, Fremde! Reißt die Fenster auf, reißt die Fenster auf!“
Dieser schlagende Beweis, mich in einem hochzivilisierten Ort zu befinden, imponierte mir ungeheuer. Welch eine hohe Disziplin hier herrschte, ersah ich aus der Schnelligkeit, mit welcher sämtliche männliche und weibliche, alte und junge Einwohner des Dorfes dem Zeterruf Folge leisteten.
Wo sich ein Loch in einem Haus befand – mochte es nun Tür oder Fenster heißen oder mochte es ein wirkliches, wahres, buchstäbliches Loch in der morschen Mauer sein – da ließ sich ein Gesicht oder so etwas Ähnliches sehen. Wenigstens glaubte ich Gesichter zu erkennen, wenn ich auch nur ein Kopftuch, zwei Augen, einen Bart und zwischen diesen drei Dingen etwas Unbeschreibliches, jedenfalls aber Ungewaschenes konstatieren konnte.
Dasjenige, was der von dem Alphabet und dessen Folgen beleckte Mensch hinter seinem Hause anbringt, damit es sich dort in ruhiger und ungestörter Sammlung zur Goldgrube des Landwirtes entwickeln könne, war hier an der Vorderseite der Hütten angebracht, und zwar mit großer Beharrlichkeit grad da, wo die Schutzgeister des Hauses gezwungen waren, lieblich ein und aus zu schweben.
Man konnte das ganze Dorf überblicken. Ich weiß nicht, wie ich auf den baukünstlerischen Gedanken kam, nach einem Schornstein zu suchen; kurz und gut, ich kam darauf, doch war das eine ganz überschwengliche Idee: ich sah nicht die Spur einer Feueresse.
Ein Häuschen stand auf hohem Rand. Rechts und links, vorn und hinten war das Dach eingefallen. Der Giebel hatte einen Riß, welcher die Haustür vollständig überflüssig machte. Vom Dorfweg führte eine Steintreppe hinauf; aber von dieser Treppe war nur die oberste und die unterste Stufe vorhanden. Wer da hinauf wollte, der mußte entweder Alpenjäger mit Steigeisen oder Akrobat mit Sprungstange sein.
Läden und Holztüren schien es nicht zu geben, und so offen, wie die Gebäude, waren auch die Bewohner derselben, denn ich sah nicht eine einzige Person, welcher nicht vor Erstaunen über uns der Mund sperrangelweit aufstand. Wäre der Spötter Heinrich Heine an meiner Stelle gewesen, so hätte er zu seinen geographischen Reimen noch den einen hinzugefügt:
„Glogovik ist die Blume des Orientes;
Wer's mit Schaudern gesehen hat, der kennt es!“
Unser Führer hielt vor dem ansehnlichsten Gebäude der Ortschaft an. Zwei mächtige dunkle Tannen beschatteten es; darum hatte der Besitzer es für überflüssig gehalten, das halb eingestürzte Dach zu reparieren. Das Haus lag nahe am Bergabhang. Ein Wässerlein floß von da herab bis vor die Tür und fand dort in der bereits erwähnten Goldgrube Gelegenheit, sich mit einer chemisch anders gearteten Flüssigkeit zu vereinigen. Hart am Rand dieses ‚Bassins ästhetischer Anschauungen‘ lagen einige Baumklötze, von denen uns der Konakdschy sagte, daß sie das Amphitheater der öffentlichen Versammlungen bildeten, an welchem Ort schon manche welterschütternde Frage erst mit Worten, dann mit Fäusten und endlich gar mit Messern behandelt worden sei.
Wir nahmen auf diesen Klötzen der Politik Platz und ließen unsere Tiere aus dem Wässerlein trinken, aber oberhalb der erwähnten Vereinigungsstelle. Unsern Führer schickten wir auf Entdeckung in das Haus, denn Halef hatte die Kühnheit zu behaupten, daß er Hunger habe und irgend etwas essen müsse.
Nachdem wir ein aus dem Hause schallendes Duett angehört hatten, welches aus dem Kreischen einer weiblichen Fistelstimme und aus den fluchenden Baßtönen des Konakdschy bestand, erschienen die beiden Tonkünstler vor der Tür, und zwar in der Weise, daß der Baß den Diskant an einem Fetzen herausgezogen brachte, welcher hierzulande von den Besitzern einer großen Einbildungskraft und unter ganz besonders günstigen Umständen vielleicht Schürze genannt werden konnte.
Wir sollten den zwischen ihnen ausgebrochenen Streit mit einem Machtwort entscheiden. Der Baß behauptete noch immer im tiefen C, daß er etwas zu essen haben wolle, und der Sopran erklärte mit Bestimmtheit und im dreigestrichenen B, daß absolut gar nichts vorhanden sei.
Halef schlichtete den Zwiespalt, indem er in seiner Weise die höhere Stimme des Duetts beim Ohr nahm und mit ihr im Innern des Hauses verschwand.
Es dauerte fast eine halbe Stunde, bevor er wieder erschien. Während dieser Zeit herrschte eine fast beängstigende Stille in den inneren Gemächern der
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