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17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut

17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut

Titel: 17 - Im Schatten des Grossherrn 06 - Der Schut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Gastlichkeit. Als er dann zum Vorschein kam, wurde er von der Wirtin begleitet, welche unter unheilverkündenden Gestikulationen in einer Mundart schimpfte, von welcher ich kein Wort verstand. Sie gab sich Mühe, ihm eine Flasche zu entreißen; er aber hielt sie heldenhaft fest.
    „Sihdi, es gibt etwas zu trinken!“ rief er triumphierend. „Ich habe es entdeckt.“
    Er hielt die Flasche hoch empor. Die Wirtin suchte dieselbe mit der Hand zu erreichen und schrie dabei etwas, wovon ich nur die Silben ‚Bullik jak‘ verstehen konnte. Aber, obgleich ich mit meinem Türkischen überall so leidlich ausgekommen war, was ‚Bullik jak‘ bedeutete, wußte ich noch nicht.
    Der Hadschi zog endlich, um sich von der Anhänglichkeit der widerwilligen Hebe zu befreien, die Peitsche aus dem Gürtel, worauf sie um mehrere Schritte zurückwich und dann stehen blieb, um sein Beginnen mit entsetztem Blick weiter zu verfolgen.
    Er zog den Stöpsel heraus, welcher aus einem alten Kattunwickel bestand, winkte mir verführerisch mit der Flasche zu und setzte sie an den Mund.
    Die Farbe des Getränkes war weder hell noch dunkel. Ich konnte nicht erkennen, ob dieser Raki dick oder dünn war. Jedenfalls hätte ich vor dem Trinken die Bouteille erst einmal gegen das Licht und dann an die Nase gehalten. Halef aber war über seinen Fund so erfreut, daß er an eine solche Prüfung gar nicht dachte. Er tat einen langen, langen Zug –
    Ich kannte den kleinen Hadschi schon eine sehr geraume Zeit; aber das Gesicht, welches er jetzt machte, hatte ich noch nie bei ihm gesehen. Es hatte plötzlich einige hundert Falten bekommen. Man sah, daß er sich bemühte, die Flüssigkeit auszuspucken, aber der Schreck hatte dem unteren Teil seines Gesichtes alle Fähigkeit der Bewegung geraubt. Der Mund war zum Erschrecken weit offen und blieb eine ganze, lange Weile so; ich befürchtete schon, es sei ein Kinnbackenkrampf eingetreten, der bekanntlich nur mit einer kräftigen Ohrfeige geheilt werden kann.
    Nur die Zunge hatte einen geringen Teil ihrer Beweglichkeit behalten. Sie schwamm auf dem langsam und fett über die Lippen rinnenden Raki hin und her wie ein in saure Milch gelegter Blutegel. Dazu hatte der Hadschi die Brauen emporgezogen, daß sie den Rand des Turbans erreichten, und die Augen so fest zugekniffen, als ob er all seine Lebtage das Licht der Sonne nicht mehr sehen wolle. Die beiden Arme hielt er ausgestreckt und alle zehn Finger so weit wie möglich auseinander gespreizt. Die Flasche hatte er im ersten Augenblick des Entsetzens von sich geschleudert. Sie war in die vereinigte Flüssigkeit gefallen, aus welcher sie von der fast bis an die Knie in derselben watenden Frau mit Lebensgefahr gerettet wurde. Dabei hatte dieses weibliche Wesen die Stimme wieder erhoben und schimpfte aus Leibeskräften. Von dem, was sie sagte, verstand ich abermals nur die edlen Runen des bereits erwähnten ‚Bullik jak‘.
    Da Halef zögerte, das ergreifende ‚lebende Bild‘, welches er gegenwärtig stellte, zu Ende zu bringen, so trat ich zu ihm und fragte:
    „Was ist's denn? Was hast du getrunken?“
    „Grr – g – gh!“ lautete die gurgelnde Antwort, welche zwar keiner artikulierten Sprache angehörte, aber von allen verstanden wurde.
    „So komm doch zu dir! Was war es denn für Zeug?“
    „Grrr – g – gh – rrr!“
    Er brachte den Mund noch immer nicht zu und hielt die Arme und die Finger noch ausgespreizt. Die Augen aber öffneten sich und sahen mich mit einem trostlos ersterbenden Blick an.
    „Bullik jak!“ rief die Frau als Antwort auf meine Frage.
    Ich durchflog im Geist alle Wörterbücher, welche mir jemals im Leben zu Gebot gestanden hatten; doch vergeblich. ‚Bullik‘ verstand ich absolut nicht. Und ‚jak‘? Es konnte doch nicht etwa ein tibetanischer Yak oder Grunzochse gemeint sein!
    „Mach doch den Mund zu! Spuck' das Zeug aus!“ riet ich ihm.
    „Grrr!“
    Da näherte ich mich seinem offenen Mund – und der Geruch sagte mir alles. Ebenso schnell verstand ich nun auch die beiden Worte der Wirtin. Diese bediente sich der Mundart ihres Dorfes. Anstatt ‚Bullik jak‘ sollte es heißen ‚Balyk jaghi‘, wörtlich ins Deutsche übersetzt: Fischöl, also Fischtran. Der kleine Hadschi hatte Fischtran getrunken!
    Als ich das meinen Begleitern erklärte, brachen sie in ein schallendes Gelächter aus. Dieser Ausdruck eines aller Hochachtung baren Gefühles gab dem stets so selbstbewußten Hadschi augenblicklich sein früheres

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