170 - Hüte den Speer - Magiure, Margo
jenes unheilvollen Tages beschrieb – Keelins leichenblasses Gesicht, das heftige Schütteln, von dem sie ergriffen worden war, und das wirre Zeug, das sie geredet hatte. Dann hatte das Mädchen das Bewusstsein verloren, und als sie endlich wieder zu sich gekommen war, hatte sie in einem fort geweint.
„Sie hatte Brians Tod vorausgesehen“, erklärte Tiarnan. „Die Vision war ohne Vorankündigung über sie gekommen, ohne dass sie die Lanze auch nur berührt hatte.“
Marcus war erschüttert, wenn er daran dachte, was Keelin als Kind hatte mit ansehen müssen, doch Tiarnan war mit seiner Geschichte noch nicht zu Ende.
„Als sie das zweite Mal von einer derart heftigen Vision heimgesucht wurde, verlor erneut jemand aus unserer Familie das Leben … es war der Tag, an dem ihr Vater Eocaidh von Ruairc Mageean erschlagen wurde.“
„Und Ihr denkt, dass sie heute einen weiteren Tod vorausgesehen hat?“
„Ja“, erwiderte Tiarnan. „Sie spürt Dinge, ohne die Lanze zu berühren. Sie hat Vorahnungen. Aber wenn sie die Heilige Lanze tatsächlich in Händen hält, dann hat sie Visionen in lebhaften Farben.“
Marcus schwieg. Er starrte auf den schlaffen Leib in seinen Armen und ging der Frage nach, ob womöglich Satan in Keelin und ihren Visionen steckte und sein böses Werk betrieb. Doch er erhielt keine Antwort.
„Seid so gut und haltet sie warm, mein Junge“, sagte Tiarnan, „bis sie das Schlimmste überstanden hat.“
Marcus würde sie in seinen Armen halten. Er schaute zu Adam hinüber, der friedlich auf seinem Lager schlief, und dann machte er es sich neben Keelin bequem. Er umhüllte sie mit seiner Wärme und wartete.
In der Morgendämmerung erlangte Keelin ihr volles Bewusstsein zurück. Während der Nacht war sie einige Male wie aus tiefem Schlaf erwacht, als Marcus ihr beruhigend über Rücken und Schultern gestreichelt hatte, aber sie war nicht in der Lage gewesen, etwas zu sagen.
Ihre Sinne waren immer noch benebelt, und sie vermochte nicht, die Ereignisse des Vortages nachzuvollziehen. Ebenso wenig konnte sie sich erklären, wie es dazu gekommen war, dass sie sich in den Armen von Marcus de Grant wiederfand.
Er hatte sie eng an sich gezogen, doch Keelin glaubte, dass er noch schlief. Seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig. Sie genoss das Gefühl von Geborgenheit, das von seiner Umarmung ausging.
Ohne nachzudenken kuschelte sie sich an Marcus, der im Halbschlaf einen wohligen Laut ausstieß und sie noch enger in seine Arme schloss.
Keelin zitterte ein wenig, doch nicht Kälte ließ sie erschauern, sondern seltsame Gefühlsregungen, die sie in dieser Stärke noch nicht erlebt hatte. Wie unter einem Zwang schmiegte sie sich noch enger an den schlummernden Grafen, der nun erneut einen behaglichen Seufzer von sich gab. Dann regte er sich, und eine Hand fuhr in kreisenden Bewegungen über ihren Rücken, während er sie näher zu sich heranzog. Sie wusste, dass er noch immer schlief, und atmete begierig seinen Duft ein. Es war der Duft des frischen Bachlaufs, der Geruch des schweren Kettenhemdes, das er tags zuvor getragen hatte, sein Leinenhemd und etwas gänzlich Eigentümliches … ein Duft, der nur ihm, Marcus, gehörte.
Überall spürte sie ihn, und ein unerklärlicher Drang überkam sie, ihn zu küssen. Sein Mund war so nahe, und schon wollte sie …
Keelin erschrak über die Begierde, die sich in ihr zu regen begann, und sie fand nicht den Mut, ihre Lippen auf die seinen zu drücken, mochte das Verlangen auch noch so stark sein.
Dann merkte sie, dass er erwachte. Sein Körper spannte sich, und er zog sich augenblicklich ein wenig von ihr zurück.
„Oh, Ihr seid also wach?“, sagte er peinlich berührt und räusperte sich.
Keelin nickte. Immer noch rätselte sie darüber, wie es dazu gekommen war, dass sie unter all den wollenen Decken in den Armen von Marcus de Grant lag. Sie erinnerte sich nur bruchstückhaft an den vergangenen Abend. Er hatte sich an dem Knoten ihres Verbandes zu schaffen gemacht – und bei seinem Kuss war sie förmlich dahingeschmolzen …
Cormac!
Bei Gott und allen Heiligen, schlagartig fiel ihr ein, was geschehen war. Cormac O’Shea war erschlagen worden! Von keinem Geringeren als Ruairc Mageean.
Keelin löste sich aus der behaglichen Wärme der Schlafstatt und sprang auf, doch bei der plötzlichen Bewegung wurde ihr schwindelig. Benommen sank sie wieder auf die Knie.
„Vorsichtig“, sagte Marcus, als er sie stützte.
„Keely, mein
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