170 - Hüte den Speer - Magiure, Margo
tragen. So, wie die Dinge standen, blieb es ungewiss, ob sein Neffe einen neuen Tag erlebte. Marcus vermochte auch nicht einzuschätzen, wann sein Tross endlich nach Wrexton aufbrechen konnte. Und ob er je die Pflichten eines Grafen genauso gut erfüllen könnte wie sein Vater, wusste er bei weitem noch nicht zu sagen.
Leise Schritte rissen ihn aus seinen trüben Gedanken. Er stand auf, und als er sich umdrehte, sah er Nicholas Hawken auf dem Pfad näher kommen.
„Es war eine ruhige Nacht“, sagte der Marquis.
Die Nacht war alles andere als ruhig verlaufen, aber Marcus ließ nichts darüber verlauten, wie er die vergangenen Stunden verbracht hatte. Wusste er doch selbst nicht, wo ihm der Kopf stand. Trotz aller Sorgen, die ihn niederdrückten, war er nach wie vor für die Frau entbrannt, die er so eng in seinen Armen gehalten hatte. Doch er wagte es nicht, seinen begehrlichen Gedanken freien Lauf zu lassen.
Die beiden Männer gingen ein Stück des Weges nebeneinander her und ließen den Blick schweifen, um mögliche Eindringlinge aufspüren zu können. Hatten sich die Kelten in der Nacht in die Nähe des Lagers gewagt?
„Es sieht so aus, als hielten sich die Schurken hier nicht mehr auf“, sagte Marcus schließlich. „Keine Reste von einem Feuer, keine verdächtigen Spuren.“
„Meine Männer haben die ganze Horde vertrieben“, erwiderte Hawken. „Nur den einen nicht, der hier gestern unvermutet aufgetaucht ist.“
Ein kalter Windstoß fuhr durch das kahle Geäst. Marcus schaute zum Himmel und sah in der Ferne dunkle Wolken aufziehen. Bald würde es regnen. Womöglich gäbe es sogar Frost, denn es war während der Nacht merklich kühler geworden.
In Wrexton war man der Ansicht, dass ein besonders strenger Winter bevorstand. Aus diesem Grund war Eldred mit seiner Reiterschar zeitig nach der Hochzeit in Haverston Castle aufgebrochen, ohne all die Feierlichkeiten abzuwarten, die Lord Haverston noch geplant hatte. Eldred hatte nichts mehr gefürchtet, als unterwegs in einen Sturm zu geraten.
Der Graf starrte auf die unheilvoll dräuenden Wolken am Firmament und fragte sich, wie lange das schlechte Wetter anhalten würde und ob er den Aufbruch nach Wrexton noch weiter verschieben müsste.
„Marcus“, sagte Hawken. Der Marquis verschränkte die Hände hinter dem Rücken und sprach mit leicht gesenktem Haupt. „Meine Mannen und ich reiten heute zurück nach Kirkham. Es würde mir nichts ausmachen, in Wrexton Halt zu machen. Ich wäre geehrt, Euren Vater … und die anderen … nach Hause zu bringen, falls Ihr es wünscht.“
Der junge Graf war erstaunt über Nicholas’ Angebot, denn er war für gewöhnlich grob und derb und nahm keinerlei Rücksicht auf andere, sondern stellte stets sein eigenes Vergnügen in den Mittelpunkt. Doch er wusste, dass der Marquis von inneren Dämonen geplagt wurde, die ihn zu seinem ausschweifenden Leben trieben.
Das Angebot kam gerade zur rechten Zeit, denn Marcus erkannte, dass er den Leichnam seines Vaters vielleicht nicht selbst begleiten konnte. Es erschien ihm besser, Eldred sicher nach Wrexton bringen zu lassen, um mit der Totenmesse zu beginnen.
„Ich weiß Euer Angebot zu schätzen, Nicholas“, sagte er. „Vielleicht ist es besser, wenn Ihr meinen Vater nach Hause bringt. Meine Reiter sind geschwächt, und sollten wir noch einmal in einen Hinterhalt geraten …“
Nicholas nickte düster. Dann blickte er zum Himmel hinauf, und Marcus konnte die Gedanken seines Gegenübers lesen. Er musste sich beeilen, wenn er sein Ziel noch vor dem drohenden Unwetter erreichen wollte.
Die Männer gingen zurück zum Bachlauf, wo Marcus seine Ledertasche liegen gelassen hatte. Zwei seiner Getreuen sammelten Schilfrohr und Binsen.
„Was macht ihr hier?“, fragte Nicholas.
„Lady Keelin bat uns, das hier zu sammeln, damit sie die Verwundeten darauf betten kann“, erwiderte einer der Männer.
„Sie sagte, es sei in den Zelten zu kalt und feucht für die Verletzten“, meinte der andere, „und sie wolle sie lieber in die warme Hütte holen, um sich um die Wunden zu kümmern.“
Nicholas hob eine Braue, dann ging er den Pfad entlang zu seinen Männern.
„Sein Lager kommt hierhin“, sagte Lady Keelin zu den Männern, die ihr halfen, in der Hütte Platz für die Verwundeten zu schaffen. Es war sehr kalt geworden, und heftiger Regen hatte eingesetzt.
Keelin hatte Lager für die zwei verletzten Ritter bereitet und ließ sie nun in die Hütte bringen, wo sie warm und
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