170 - Hüte den Speer - Magiure, Margo
umzugehen?“
Der Graf lächelte. „Ja, so ist es“, erwiderte er, „und mit etwas Übung wird sie sehr treffsicher werden.“
„Sie hat die richtige Größe dafür“, bemerkte Tiarnan stolz.
Fürwahr, dachte Marcus. Ihre Größe war wie geschaffen für den Langbogen. Sie war vollkommen. Und da waren ihre Augen, ihr Lächeln, ihr Haar. Ihre Hände waren weich und schlank und doch kräftig und tüchtig. Und ihr Körper …
„Und wie war es mit den Falken?“, wollte der Greis wissen. „Mein Bruder hat sie nie an seine Greifvögel herangelassen, aber Keelin war von den Tieren begeistert. Sie hat sich in Eocaidhs Käfige geschlichen, wann immer sich ihr die Gelegenheit dazu bot.“
„Sie kann sehr gut mit den Falken umgehen“, schwärmte Marcus. „Sie hält sie, als hätte sie nie etwas anderes gemacht.“
Tiarnan wirkte mit einem Mal verdrießlich. „Wenn nur mein törichter Bruder erkannt hätte, was er an seinem Mädchen hatte. Wenn er nur …“
Marcus runzelte die Stirn. „Keelin und ihr Vater … sie haben sich nicht vertragen?“, fragte er, da er begierig war, möglichst viel über sie zu erfahren.
Der alte Mann seufzte und schüttelte den Kopf. „Das lässt sich nicht so einfach erklären. Ihr hättet Eocaidh erleben müssen. Mein Bruder war der geborene Anführer. Er besaß ein ausgeprägtes Pflichtbewusstsein und stellte das Wohlergehen des Clans über alles andere.“
Jetzt verstand Marcus zumindest, woher Keelin ihr Pflichtgefühl hatte. Aber rechtfertigte Eocaidhs Treue gegenüber dem Clan, die eigene Tochter zu vernachlässigen?
„Für ihn zählte immer nur der Clan“, erklärte Tiarnan. „Es kümmerte ihn nicht, ob sein einziges Kind glücklich war oder nicht.“ Er hielt inne und dachte über seine Worte nach.
Seinem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass er ganz in Gedanken verloren war. Aber was ihm im Augenblick durch den Kopf ging, blieb Marcus verborgen. „Ihr erwähntet einst Keelins Bruder.“
„Ja, Brian“, erwiderte Tiarnan. „Eocaidh setzte all seine Hoffnungen in den Jungen. Der Tag, an dem er ertrank … es war, als ob mein Bruder alles verloren hätte, was ihm je von Bedeutung war.“
„Und Keelin?“
„Es dauerte ein Jahr oder länger, bis Eocaidh endlich begriff, dass die Zukunft seiner Familie von seiner Tochter abhing“, erwiderte der Ire. „Er begann, nach einem Mann Ausschau zu halten, der Keelins Gemahl werden sollte.“
Es vergingen einige Augenblicke, bevor Marcus in der Lage war, seine nächste Frage zu stellen. „Und, hat Eocaidh jemanden gefunden?“
„Ja“, entgegnete der Alte. „Und bis auf den heutigen Tag wartet dieser Mann auf Keelins Rückkehr.“
Tiarnans Gesundheitszustand hatte sich in den letzten Tagen zusehends gebessert. Er fühlte sich sicher in den Mauern von Wrexton und war die Sorge los, in die Hände der keltischen Häscher zu geraten. Die angenehme Wärme in den Kammern linderte seine Schmerzen in der Brust, und obwohl er noch gelegentlich hustete, barg sein Atem nicht mehr dieses beunruhigende Rasseln, das seine Hustenanfälle zuvor begleitet hatte.
Er hatte wieder neue Hoffnung geschöpft, dass ihm noch ein wenig mehr Zeit auf Erden vergönnt war.
Dennoch verfluchte er den Verlust seines Augenlichts und die Tatsache, dass seine Blindheit ihn dazu zwang, die unterschwelligen Empfindungen der Menschen aus deren Tonfall, den bedeutungsvollen Pausen während des Sprechens oder den Seufzern herauslesen zu müssen. Es war alles schrecklich ermüdend.
Der junge Graf blieb nur so lange in Adams Kammer, bis er sich davon überzeugt hatte, dass es seinem Vetter besser ging. Bevor er die Krankenstube verließ, sorgte er noch dafür, dass jemand kam, um Tiarnan in seine Kammer zu geleiten. Danach wollte er sich in sein eigenes Gemach begeben, um etwas Ruhe zu finden und über Tiarnans Worte nachzudenken.
Marcus de Grant war nicht leicht zu durchschauen, und doch war dem alten Mann die Bestürzung des jungen Grafen nicht entgangen, als er erfahren hatte, dass ein zukünftiger Gemahl in Kerry auf Keelin wartete. Vielleicht gab es da Hoffnung.
Seit die Engländer unvermutet vor ihrer kleinen Waldhütte aufgetaucht waren, hatte Tiarnan genug Zeit gehabt, viel über die Menschen und das Leben in Wrexton zu erfahren. Seine Eindrücke gaben ihm die Gewissheit, dass Keelin sich in der Burg wohlfühlen würde. Er brauchte nicht das zweite Gesicht zu haben, um zu wissen, dass in Carrauntoohil nichts als Kummer und Ernüchterung
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