170 - Hüte den Speer - Magiure, Margo
kein Zweifel, dass jemand auf dem Wehrgang gewesen war. Das erklärte auch die Spuren auf den oberen Treppenstufen.
Es gab keinen Grund, dass bei diesem Wetter jemand zur Brüstung des Bergfrieds gestiegen war.
Es sei denn … Nein, Marcus weigerte sich, an solch eine Möglichkeit auch nur zu denken.
So kam er zu dem Schluss, dass jemand vor ihm das brüchige Mauerwerk begutachtet haben musste, um ein weiteres Unglück zu verhindern. An diesem Abend würde er alle Gefolgsmänner befragen, die sich im Bergfried aufhielten, wer von Keelins Unfall erfahren und sich dann aufgemacht hatte, um die Brüstung zu untersuchen.
Marcus hielt die Lampe hoch und ging zu der Mauer, von der aus man auf den Pfad sehen konnte. Dort stellte er fest, dass kein Baum den freien Fall eines hinabstürzenden Gegenstandes aufhalten konnte. Er untersuchte die mit Zinnen versehene Mauer, um die Stelle zu finden, an der sich der Stein gelöst hatte.
Er fand sie. Aber die Stelle, wo die junge Irin unten auf dem Pfad getroffen worden war, befand sich ein ganzes Stück weiter weg.
Keelin war von einer stillen, inneren Freude erfüllt. Sie saß rechts neben Marcus auf der Empore, während die Diener einen Gang nach dem anderen mit wunderbar zubereiteten Speisen hereinbrachten. Sie vermochte kaum still sitzen zu bleiben, so aufgeregt war sie.
Und doch musste sie versuchen, nach den erregenden Augenblicken in ihrer Kammer wieder Ruhe zu finden.
Wenn sie jetzt auf den Tag zurückblickte, stellte sie fest, dass viel geschehen war. Marcus hatte sie während des Bogenschießens berührt und geneckt und hätte sie beinahe um den Verstand gebracht. Und auch jetzt, da sie neben ihm saß, wirkte seine Nähe betörend auf sie.
Sie bemühte sich, seine Hände nicht anzuschauen, als er ihr das Fleisch auf dem Brett zurechtschnitt oder ihr den Kelch darbot, und versuchte, sich nicht zu sehr an das außergewöhnliche Gefühl von Geborgenheit zu gewöhnen, das sie spürte, wann immer er ihr nahe war.
Keelin verdrängte den Gedanken, Wrexton verlassen zu müssen, doch als sie dennoch an den Abschied dachte, nahm sie rasch einen Schluck Wein, um sich zu beruhigen.
Albin Selby und die Seinen saßen Marcus und Keelin gegenüber. Der Baron war ein fröhlicher Mensch und schien keineswegs verstimmt, dass der Sturm seine Heimreise bislang verhindert hatte.
„Ich hätte nie vor Weinachten mit einem solchen Schneesturm gerechnet“, sagte er. „Wir wären sonst nicht von Rentford Manor aufgebrochen, dem Besitz meines Schwiegervaters.“
Lady Selby verdrehte die Augen.
„Papa“, mischte sich da Selbys jüngere Tochter ein. „Großvater hat Euch doch gewarnt, dass …“
„Gemach, gemach, Elga“, schalt der Baron das Mädchen. „Es ist ungehörig, deinen Eltern zu widersprechen. Dein Großvater war sich nicht ganz sicher, ob das Wetter nach dem Regen derart rasch umschlagen würde.“
Das freundliche Geplauder wurde auch während des Essens fortgesetzt, und Keelin fand Zeit, sich zu entspannen. Es mutete merkwürdig an, dass Isolda nicht im Rittersaal war, obwohl ihr stets viel daran lag, alles im Blick zu haben, was in Wrexton vor sich ging. Die Mahlzeit verlief für Keelin auf diese Weise sehr viel angenehmer, denn sie war sicher vor den missbilligenden Blicken der Aufseherin und musste nicht ständig auf der Hut sein.
Man hatte dafür gesorgt, dass ausreichend Tische und Bänke für die Besucher zur Verfügung standen, und Keelin gewann den Eindruck, dass die Gäste nicht schlechter bewirtet wurden als der Burgherr. Während in der einen Ecke des Saals Gaukler in farbenfrohen Kleidern ihre Kunststücke vollführten, schickten sich die Schauspieler an, die speisende Gesellschaft erneut mit einem Stück zu unterhalten. Spielleute griffen zu ihren Instrumenten und waren bereit, zwei fahrende Bänkelsänger zu begleiten, die zwischen den Tafeln auf und ab gingen und bekannte Weisen von Heldenmut und Minne anstimmten.
„Seid Ihr inzwischen mit dem Bogen vertraut, Mylady?“, fragte Sir Robert, der einige Plätze von Keelin entfernt saß.
Sie musste lachen. „Leidlich“, erwiderte sie. „Aber ich denke, ich mache Fortschritte.“
„Lord Wrexton ist ein trefflicher Lehrer“, bemerkte Sir William. „Er hat sein Ziel noch nie verfehlt.“
Keelin hatte das Gefühl, dass der Ritter ihr schelmisch zugezwinkert hatte, aber sie war sich nicht sicher. „Ja“, erwiderte sie, „aber trifft er bewegliche Ziele in der gleichen Weise?“
„Nun, das
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