170 - Logbuch der Hölle
haben. Sie klopfen seitlich gegen das Holz der Sargwand…
Tam-Ta-Tam-Tam - - - Tam
Tam, immer wieder der gleiche Rhythmus.
Der Klang dröhnte in Parkers Ohren, er kam ihm vor wie der Auftakt zu einem schaurigen
danse macabre.
Immer wieder der gleiche Takt, in immer gleich bleibendem Tempo. Dieses grauenvolle Klopfen schien alles zu sein, was sich in dem Gehirn des lebendig Begrabenen noch regte.
Mit käsigem Gesicht und zittrigen Händen kam Pedro d'Alessandro näher. Er trug eine Arzttasche - ein ledernes Fossil von Arztkoffer, das wohl den Eindruck von Erfahrung und Seriosität ausdrücken sollte.
Der Eingesargte regte sich nicht.
D'Alessandro untersuchte ihn mit sichtlichem Widerstreben.
„Puls gleichmäßig, schwach aber gut tastbar. Atmung vermindert…"
Pedro richtete sich auf.
„Der Mann steht unter Schockwirkung", sagte er. „Ich werde ihm eine Beruhigungsspritze geben. Dann wird er einen Tag lang schlafen, und übermorgen früh wird es ihm bessergehen." Paco schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf.
„ElMuerto",
murmelte er immer wieder, als sei der Name eine Beschwörung.
Pedro d'Alessandro zog eine Spritze auf. Er mußte einige Zeit suchen, bis er am Arm des Mannes eine brauchbare Vene fand, in die er das Mittel injizieren konnte.
„Erledigt", sagte Pedro zufrieden und richtete sich auf. Auf seinem Gesicht erschien wieder das gewohnte selbstzufriedene Lächeln. „Es ist immer gut, wenn man einen Arzt…"
Er verstummte.
Jäh war Leben in den Mann gekommen, der in dem offenen Sarg lag. Er richtete den Oberkörper auf. Die Augen blickten trübe und glanzlos, der Blick schien in unendliche Ferne gerichtet zu sein. Parker faßte den Alten bei der Schulter.
Eisig kalt fühlte sich der magere Körper des Alten an, und Parker hatte einen Augenblick lang den Eindruck, als habe der Atemhauch des Todes ihn gestreift.
„Senor!“ rief er, aber der Alte reagierte nicht.
Er stand auf, stieg aus dem Sarg und setzte sich in Bewegung. Schnurgerade marschierte er auf den Niedergang zu. Die Menschen, die dort standen, flüchteten sich ins Innere und schlugen die Tür hinter sich zu.
Ohne sich darum zu kümmern, bewegte sich der Alte weiter. Er marschierte nach vorn, auf den Bugkorb der ESTRELLA DEL SUR zu. Er passierte die Aufbauten, und dann kletterte er auf das Kajütendach. Unmittelbar vor dem Großmast setzte er sich auf das Dach und erstarrte in dieser Haltung. Seine Blicke waren nach vorn gerichtet, hinaus auf den schwarzgrauen Anblick des nächtlichen Ozeans.
Parker zögerte einen Augenblick lang, dann stieg er dem Alten nach. Wieder packte er an der Schulter.
„Senor, Sie können hier nicht bleiben. Sie werden sich…"
Den Tod holen,
hatte er sagen wollen, aber diese Worte erstarben ihm auf den Lippen.
Mit was für Schrecken konnte man diesen Mann noch drohen, der so grauenvolle Stunden und Tage durchlitten hatte.
„Senor", sagte Parker sanft. „Wie heißen Sie? Können wir Ihre Familie benachrichtigen?"
Die Lippen des Greises bewegten sich, aber Parker konnte die Worte nicht verstehen. Er beugte den Kopf, brachte sein linkes Ohr dicht an den Mund des Alten.
Wie eingefroren verharrte er sekundenlang in dieser Haltung. Dann richtete er sich sehr langsam wieder auf.
„Was hat er gesagt? Haben Sie ihn verstehen können?" fragte Jaime d'Alessandro drängend. „Hat er seinen Namen gesagt? Wie heißt er?"
Parker schluckte heftig.
„Ich habe nur zwei Worte verstehen können", sagte er leise.
„Und? Wie lauten die Worte?"
Parker antwortete nicht. Er sah hinüber zu Paco, der am Ruder stand und alles überblickte. Paco war es, der antwortete.
„El Muerto",
sagte der alte Seemann. „Er ist und heißt
El Muerto. ”
D'Alessandro mußte sich am Großbaum festhalten, um nicht umzufallen.
„Ist das wahr?" fragte er fassungslos.
Parker sah, wie sich der Südamerikaner bekreuzigte.
„Es ist wahr", antwortete Jeff Parker dumpf. Er wandte sich um, sah
El Muerto
an. Die Augen des Alten waren jetzt geschlossen. Die Brust bewegte sich nicht mehr.
Parker griff nach dem Hals von
El Muerto.
Unter seinen Fingerkuppen spürte er kaltes, starres Fleisch.
„Er ist tot", stieß er hervor.
Paco schüttelte den Kopf.
„Er lebt nicht, er stirbt nicht. Er kann nicht sterben, denn er ist der Tod selbst. Er ist
El Muerto,
und er geht uns voran."
„Unsinn", stieß Jaime d'Alessandro hervor.
Und wie um ihn zu bestätigen, kam wieder Leben in
El Muerto.
Seine Finger begannen zu
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