170 - Logbuch der Hölle
sich auf. Er gab eine Reihe von Befehlen. Offenbar wollte er versuchen, das Schiff allein mit den Segeln zu steuern.
Die Fock wurde neu gesetzt, der Großbaum schwang herum - aber die ESTRELLA DEL SUR behielt den alten Kurs bei.
„Allmächtiger", stieß Linnero hervor und bekreuzigte sich ein ums andere Mal.
„Ich sagte es doch", murmelte Paco rauh. „Er steuert jetzt das Schiff -
EI Muerto!"
Unwillkürlich wandte Jeff Parker den Kopf. Der seltsame Gast an Bord rührte sich nicht. Nur seine Finger bewegten sich, trommelten den eigentümlichen Rhythmus auf das Holz des Decks.
„Unsinn", stieß Jaime d'Alessandro hervor. „Ich glaube nicht an Zauberei. Das hat andere Ursachen. "
„Dann sucht danach", empfahl Parker trocken. „Aber beeilt euch damit, bevor das Schiff auseinanderbricht."
Die Warnung war durchaus berechtigt, denn der Kurs, den die ESTRELLA DEL SUR einhielt, stand in krassem Gegensatz zu den gesetzten Segeln. Der Großmast bog sich ein wenig, und das Tauwerk ächzte vernehmlich. Auch im Innern des Schiffes mußte das zu spüren sein. Die anderen Besatzungsmitglieder kamen an Deck. Vor allem die nicht sehr segelkundigen Frauen brauchten einige Zeit, bis die den Anblick verdaut hatten - dann aber wurden sie stumm vor Schreck.
Pedro d'Alessandro murmelte einen lästerlichen Fluch nach dem anderen, als er versuchte, die Ursache für das seltsame Verhalten der ESTRELLA DEL SUR festzustellen.
Die Zeit, die Pedro und die anderen darauf verwendeten, benutzte Jeff Parker, um mit Unga ein kurzes Zwiegespräch zu führen.
„Was meinst du?" fragte er Unga. „Machen wir weiter oder greifen wir ein?"
„Abwarten", empfahl Unga. „Handeln können wir immer noch."
„Und
E1 Muerto? "
Unga zuckte mit den breiten Schultern.
„Entweder ist er schon tot und nur durch Magie belebt, dann können wir daran ohnehin nichts ändern. Oder er lebt, und dann können wir ihm auch nicht helfen. Ich glaube, daß Paco mit seiner Auffassung recht hat - es ist
El Muerto,
der das Schiff steuert. Er scheint ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen zu haben, und auf dieses Ziel bin ich gespannt."
Jeff Parker nickte. Ähnliche Überlegungen hatte er ebenfalls angestellt.
Vor allem eines machte Parker Sorgen.
Wenn er versuchte, dem seltsamen Bann, der die ESTRELLA DEL SUR gefangenhielt, mit magischen Mitteln zu Leibe zu rücken, war der Charakter dieser Reise nicht länger geheimzuhalten, auch nicht, daß Parker und Unga sich in diesen Dingen auskannten.
Schwerlich würden die anderen bereit sein, Parker und Unga in ihren Bemühungen zu unterstützen. Laien - und das waren Jaime d'Alessandro und seine Begleiter - empfanden selbst vor der Anwendung der Weißen Magie Grauen.
Erst im äußersten Notfall, den sicheren Tod vor Augen, würden sich die anderen dazu bereitfinden, Parkers Anweisungen zu gehorchen - vorher nicht.
„Aussichtslos!"
Drei Stunden lang hatten sich die Männer bemüht, die ESTRELLA DEL SUR wieder in ihre Gewalt zu bekommen - vergeblich. Es war nichts dabei herausgekommen außer einer schweißtreibenden und kräftezehrenden Schinderei.
Inzwischen war der Tag angebrochen. Die Sonne schien. Ihre Strahlen fielen auf eine ruhige, leichtbewegte See. Nur wenige Wolken waren zu sehen - harmlose Schönwetterwolken.
Von außen betrachtet hatte die Reise der ESTRELLA DEL SUR wieder den Charakter einer Vergnügungsfahrt angenommen. Nur bei näherem Hinsehen war zu erkennen, daß das Boot flotte Fahrt machte, ohne den Motor zu benutzen oder Segel gesetzt zu haben.
„Von einem Extrem ins andere", murmelte Jaime d'Alessandro und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Gestern nacht Sturm, und jetzt kein Hauch."
Parker grinste.
„Um so dankbarer müßten wir unserem geheimnisvollen Antrieb sein", sagte er. „Er liefert uns wenigstens Fahrtwind."
D'Alessandro wölbte die Brauen, sagte aber nichts.
Scheinbar hatte sich die Situation an Bord entspannt - die Frauen lagen in der Sonne, aus dem wieder zusammengeflickten Radio kamen Sambaklänge, und aus der Kabine stiegen Geruchswolken auf - Mondejo briet Eier und Speck zum Frühstück.
Bei näherem Hinsehen aber war die unheimliche Stimmung fast mit Händen zu greifen.
Das ganze Vorschiff gehörte
El Muerto,
der noch immer vor dem Großmast saß - die beiden Frauen hatten es nicht gewagt, sich vor seinen Augen in die Sonne zu legen. Und diesmal hatten sie auch darauf verzichtet, die Oberteile ihrer Bikinis abzulegen. Gesprochen wurde so gut wie nicht.
Und
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